BGH: Kein Unterlassungsanspruch gegen Inkassoschreiben (DSL)
BGH URTEIL VI ZR 330/09 vom 8. Februar 2011 – Unterlassung von Inkassoschreiben
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll, Pauge und Stöhr und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landge-richts Koblenz vom 21. Oktober 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte, die Telekommunikationsdienstleistungen erbringt, auf Unterlassung der persönlichen Kontaktaufnahme in Anspruch.
Die Parteien schlossen am 12. November 2005 einen Vertrag, in dem sich die Beklagte zur Bereitstellung eines DSL-Anschlusses verpflichtete. Der Kläger bezahlte einen Teil der ihm in Rechnung gestellten Entgelte nicht, weil Verbindungsstörungen vorgelegen hätten. Die Beklagte sandte an den Kläger wegen der behaupteten rückständigen Ansprüche Zahlungsaufforderungen. Mit Schriftsatz vom 15. August 2006 zeigte ein vom Kläger beauftragter Rechtsan-walt unter Vorlage einer anwaltlichen Vollmacht seine Vertretung gegenüber der Beklagten an. Dennoch versandten die Beklagte und ein von ihr beauftragtes Inkassounternehmen jeweils ein Mahnschreiben an den Kläger.
Der Rechtsan-
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walt des Klägers forderte die Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 9. November 2006 unter Hinweis auf sein Mandat auf, den Kläger nicht mehr direkt anzuschreiben. Unter dem 5. Februar 2008 mahnte die Beklagte den Kläger erneut direkt an. Mit Anwaltsschreiben vom 20. Februar 2008 wurde die Beklagte letztmals aufgefordert, eine direkte Kontaktaufnahme zum Kläger zu unterlassen. Dessen ungeachtet richteten ein von der Beklagten beauftragtes Inkassounternehmen sowie eine von der Beklagten beauftragte Rechtsanwältin weitere Mahnschreiben direkt an den Kläger.
Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, eine direkte Kontaktaufnah-me zum Kläger zu unterlassen. Das Landgericht hat auf die Berufung der Be-klagten die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist eine Verpflichtung des Be-klagten, außergerichtlich ausschließlich mit dem bevollmächtigten Rechtsanwalt des Klägers zu korrespondieren, nicht gegeben. Insbesondere stehe dem Klä-ger kein Anspruch aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem allge-meinen Persönlichkeitsrecht zu. Eine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverlet-zung sei durch die unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem Kläger nicht gege-ben. Es liege im berechtigten Interesse der Beklagten, unmittelbar mit ihrem Vertragspartner zur Geltendmachung von vermeintlichen Ansprüchen in Kon-takt zu treten und im Rahmen dieser Kontaktaufnahme bestehe keine rechtliche Verpflichtung, nur noch über einen bestellten Vertreter zu korrespondieren. Es
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sei grundsätzlich jeder Vertragspartei unbenommen, mit ihrem Gegenüber un-mittelbar in Kontakt zu treten, wie sich daraus ergebe, dass die Fälle, in denen zwingend nur der Bevollmächtigte zur Korrespondenz zugelassen sei, als Aus-nahme vom Regelfall gesetzlich geregelt seien. Anhaltspunkte für ein rechts-missbräuchliches Verhalten der Beklagten bestünden nicht.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revi-sion stand.
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1. Zu Recht und von der Revision nicht beanstandet ist das Berufungsge-richt davon ausgegangen, dass sich eine Verpflichtung der Beklagten, eine un-mittelbare Kontaktaufnahme zum anwaltlich vertretenen Kläger zu unterlassen, weder aus § 172 ZPO noch aus § 12 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) in der Fassung vom 22. März 1999 (BRAK-Mitt. Nr. 3 S. 123), zuletzt geändert durch Beschluss der Bundesrechtsanwaltskammer vom 25./26. Juni 2010 (BRAK-Mitt. Nr. 6 S. 253) ergibt. Nach § 172 Abs. 1 ZPO hat die Zustel-lung in einem anhängigen Verfahren an den für den Rechtszug bestellten Pro-zessbevollmächtigten zu erfolgen. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut und Sinn ist die Vorschrift nur auf ein bereits anhängiges gerichtliches Verfahren bezogen und sagt nichts über die Frage des richtigen Zustellungsadressaten bei außer-gerichtlichen Streitigkeiten aus. § 12 BORA verbietet es zwar einem Rechtsan-walt grundsätzlich, ohne Einwilligung des gegnerischen Rechtsanwalts mit des-sen Mandanten unmittelbar Verbindung aufzunehmen oder zu verhandeln. Zweck des Verbots sind der Schutz des gegnerischen Rechtsanwalts vor Ein-griffen in dessen Mandatsverhältnis, der Schutz des gegnerischen Mandanten und der Schutz der Rechtsprechung vor der Belastung mit Auseinandersetzun-
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gen, die ihren Grund in Einlassungen der von ihrem Rechtsanwalt nicht berate-nen Partei finden. Trotz dieses Schutzzwecks kommt sie als Anspruchsgrund-lage für den Kläger aber nicht in Betracht, weil diese berufsrechtliche Vorschrift nur die beteiligten Rechtsanwälte, nicht jedoch die von ihnen vertretenen Man-danten verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2003 – V ZR 429/02, VersR 2004, 402, 403 mwN).
2. Entgegen der Auffassung der Revision hält auch die Verneinung eines Anspruchs des Klägers, gemäß §§ 1004 analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG die unmittelbare Kontaktaufnahme zu unterlassen, der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Bereich privater Le-bensgestaltung und gibt dem Betroffenen das Recht, im privaten Bereich in Ru-he gelassen zu werden (vgl. Senat, Urteil vom 19. Dezember 1995 – VI ZR 15/95, BGHZ 131, 332, 337; BVerfGE 35, 202, 220; 44, 197, 203). Hieraus folgt ein Recht des Einzelnen, seine Privatsphäre freizuhalten von unerwünschter Einflussnahme anderer, und die Möglichkeit des Betroffenen, selbst darüber zu entscheiden, mit welchen Personen und gegebenenfalls in welchem Umfang er mit ihnen Kontakt haben will. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann deshalb vor Belästigungen schützen, die von einer unerwünschten Kontaktaufnahme ausgehen (vgl. OLG Köln, OLGR Köln 1992, 57; LG Oldenburg, NJW 1996, 62, 63; Erman/Ehmann, BGB, 12. Aufl., Anhang zu § 12 Rn. 287; Lan-ge/Schmidbauer in jurisPK-BGB, 5. Aufl. 2010, § 823 BGB Rn. 33; Münch-KommBGB/Rixecker, 5. Aufl., Anhang zu § 12 Allg. PersnlR Rn. 101; Soer-gel/Beater, BGB, 13. Aufl., § 823 Anh. IV Rn. 80). Dies kommt auch in den ge-setzlichen Regelungen des § 1 Abs. 2 GewSchG und des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Ausdruck, die Teilbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schützen (vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 17 f.; Palandt/Brudermüller, BGB,
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70. Aufl., § 1 GewSchG Rn. 4; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 238 Rn. 2). In der bloßen – als solche nicht ehrverletzenden – Kontaktaufnahme kann aber regel-mäßig nur dann eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen, wenn sie gegen den eindeutig erklärten Willen des Betroffenen erfolgt, weil ansonsten die Freiheit kommunikativen Verhaltens schwerwiegend beein-trächtigt wäre (vgl. LG Oldenburg, aaO; Erman/Ehmann, aaO; Münch-KommBGB/Rixecker, aaO, Rn. 96, 101).
b) Der erkennende Senat hat unter Berücksichtigung der vorstehend dargelegten Grundsätze entschieden, dass dem Eigentümer oder Besitzer einer Wohnung, der sich durch einen Aufkleber an seinen Briefkasten gegen den Einwurf von Werbematerial wehrt, wegen der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber dem Werbenden ein Unterlassungsanspruch zustehen kann (vgl. Senat, Urteil vom 20. Dezember 1988 – VI ZR 182/88, BGHZ 106, 229, 233 ff.). Dem sind die Instanzgerichte und das Schrifttum ge-folgt (vgl. OLG Köln, aaO; OLG Stuttgart, BB 1991, 1454; OLG Frankfurt, NJW 1996, 934; Lange/Schmidbauer, aaO; MünchKommBGB/Rixecker, aaO, Rn. 97; Soergel/Beater, aaO, Rn. 81 ff.) und haben diese Grundsätze auf unerwünschte E-Mail-Werbung (OLG Bamberg, OLGR Bamberg 2005, 769 f.) sowie auf Tele-fon- und Faxwerbung (OLG Hamm, Urteil vom 26. März 2009 – 4 U 219/08, juris Rn. 13) ausgedehnt. Zum einen wird der Unterlassungsanspruch mit dem Auf-wand begründet, der dem Betroffenen dadurch aufgezwungen wird, dass er das Werbematerial sichten und sodann von anderen Sendungen trennen muss (OLG Bamberg, aaO, 770). Zum anderen wird auf die Suggestionswirkung der Werbung abgestellt. Der Wille des Betroffenen, seinen privaten Lebensbereich von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung freizuhalten, sei als Ausfluss seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig (vgl. Senat, Urteil vom 20. Dezember 1988 – VI ZR 182/88, aaO).
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c) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht zu Recht die vorstehend dargelegten Gesichtspunkte, welche im Fall der uner-wünschten Werbung einen Unterlassungsanspruch begründen können, nicht auf die im Streitfall gegebenen Umstände übertragen und entschieden, dass dem Kläger kein Unterlassungsanspruch wegen einer Verletzung seines allge-meinen Persönlichkeitsrechts zusteht.
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aa) Nach den von den Instanzgerichten getroffenen Feststellungen hat der von dem Kläger beauftragte Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 15. August 2006 seine Bevollmächtigung gegenüber der Beklagten angezeigt und diese mit Schreiben vom 9. November 2006 und 20. Februar 2008 unter Hinweis auf sein Mandat aufgefordert, den Kläger nicht mehr direkt anzuschreiben und aus-schließlich mit ihm zu korrespondieren. Nachdem der Kläger dennoch weitere Mahnschreiben von der Beklagten selbst, von einem von ihr beauftragten In-kassounternehmen sowie von einer von ihr beauftragten Rechtsanwältin erhal-ten hat, hat sich die Beklagte über den eindeutigen Willen, nicht mit ihm persön-lich in Kontakt zu treten, hinweggesetzt und dadurch sein Persönlichkeitsrecht tangiert.
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bb) Das Berufungsgericht hat es zutreffend für geboten erachtet, das Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seiner Privat-sphäre aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem berech-tigten Interesse der Beklagten, zur Durchsetzung ihrer behaupteten Ansprüche unmittelbar mit ihrem Vertragspartner in Kontakt zu treten, abzuwägen. Denn wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrech-te und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention inter-
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pretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeits-recht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senat, Urteil vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08, VersR 2010, 673 Rn. 14 mwN). Dies führt zu dem Ergebnis, dass im Streitfall ein Unterlassungsanspruch des Klägers nicht besteht.
Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiegt das Interesse des Klägers nicht das Interesse der Beklagten, mit ihm unmittelbar in Kontakt zu treten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die unerwünschten Mahnschreiben die Interessen des Klägers nur vergleichsweise geringfügig beeinträchtigten, weil er diese mit geringem Aufwand an den beauftragten Rechtsanwalt hätte weiterleiten können. Andererseits lag es im berechtigten Interesse der Beklag-ten, mit ihrem Vertragspartner zur Geltendmachung von vermeintlichen Ansprü-chen in Kontakt zu treten und diese Ansprüche weiter zu verfolgen, und auf Sei-ten der Beklagten bestand auch keine rechtliche Verpflichtung, nur noch mit dem vom Kläger beauftragten Rechtsanwalt zu korrespondieren. Wie oben aus-geführt, lässt sich eine solche Verpflichtung weder aus § 172 ZPO noch aus der berufsrechtlichen Regelung des § 12 BORA ableiten. Aus der Vorschrift des § 171 ZPO, nach der an den rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter mit gleicher Wirkung wie an den Vertretenen zugestellt werden kann, ergibt sich vielmehr, dass außerhalb eines anhängigen Prozesses auch nach Beauftragung eines Bevollmächtigten ein Schriftstück grundsätzlich sowohl an den Bevollmächtig-ten als auch an den Vollmachtgeber gesandt werden kann. Dies steht in Ein-klang mit der Auffassung des Berufungsgerichts, dass es grundsätzlich jeder Vertragspartei unbenommen ist, mit ihrem Gegenüber unmittelbar in Kontakt zu treten, und die Fälle, in denen zwingend nur der Bevollmächtigte zur Korres-pondenz zugelassen ist, als Ausnahme vom Regelfall ausdrücklich gesetzlich
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geregelt sind. Eine solche ausdrückliche gesetzliche Regelung liegt im Streitfall nicht vor.
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Es besteht auch keine Notwendigkeit, zum Schutz des Persönlichkeits-rechts des Klägers der Beklagten vorzuschreiben, nur mit dem vom Kläger be-auftragten Rechtsanwalt zu korrespondieren. Auch wenn die Beklagte die Mahnschreiben weiterhin an den Kläger versendet, kann er diese Schreiben ohne Weiteres an seinen Rechtsanwalt weiterleiten, der den Schreiben entge-gentreten kann. Solange kein gerichtliches Verfahren anhängig ist, darf die Be-klagte auch einen etwaigen Mahnbescheid gemäß § 171 ZPO unmittelbar dem Kläger zustellen lassen, so dass er ohnehin für diesen Fall Vorsorge treffen und gegebenenfalls das Notwendige, möglicherweise durch seinen bevollmächtig-ten Anwalt, veranlassen muss. Wenn ihm die Schreiben der Beklagten zu lästig werden, hat er die Möglichkeit, seinen Rechtsanwalt mit der Erhebung einer negativen Feststellungsklage gegen die Beklagte zu beauftragen, mit der Folge, dass in dem dann anhängigen Prozess Zustellungen gemäß § 172 ZPO an sei-nen Prozessbevollmächtigten erfolgen. Nachteile können dem Kläger dadurch nicht entstehen, weil der Beklagten als Anspruchstellerin auch in der Rolle der Feststellungsbeklagten der Beweis derjenigen Tatsachen obliegt, aus denen sie ihren Anspruch herleitet (vgl. Senat, Urteil vom 2. März 1993 – VI ZR 74/92, VersR 1993, 857, 858; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 256 Rn. 18). Anhalts-punkte dafür, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten vorläge, hat das Berufungsgericht nicht gesehen und sind auch vom Kläger nicht vorge-tragen. Mithin ist der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht rechtswidrig, weil dessen Schutzinteresse die schutzwürdigen Belange der Be-klagten nicht überwiegt.
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3. Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht gemäß § 242 BGB nicht gegeben.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.