Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb durch Google nach § 19a GWB

BKartA B7 – 61/21 Entscheidung vom 30. Dezember 2021

Das Bundeskartellamt hat nach § 19a Abs. 1 GWB festgestellt, dass der Alphabet Inc. einschließlich der mit ihr gemäß § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Unternehmen (nachfolgend „Google“) eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf 5 Jahre ab Be-standskraft, d.h. bis zum 4. Januar 2027, befristet.

Zum Gegenstand des Verfahrens:

Im Januar 2021 ist die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB-Digitalisie-rungsgesetz) in Kraft getreten. Eine zentrale neue Vorschrift (§ 19a GWB) erlaubt dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne.

§ 19a GWB zielt im Wesentlichen auf die Erfassung besonderer Machtstellungen und ihrer möglichen wettbewerbsschädlichen Wirkungen und Gefährdungen des Wettbewerbs im Bereich der „digitalen Öko-systeme“, mit etwaigen sog. Gatekeeper-Funktionen einzelner Unternehmen.1 Große Digitalkonzerne, die eine breite Vielzahl von Produkten und Diensten anbieten, können eine marktübergreifende, schwer an-greifbare wirtschaftliche Machtposition innehaben, die dem jeweiligen Unternehmen Verhaltensspiel-räume eröffnet, mit denen es diese Position ohne hinreichende wettbewerbliche Kontrolle weiter konso-lidieren, ausweiten oder auf sonstige Weise zum eigenen Vorteil nutzen kann. Solche Machtstellungen und ihre Ausweitung werden durch die Dynamik der Digital- und Internetwirtschaft begünstigt, die insbe-sondere auf Märkten nach § 18 Abs. 3a GWB zu beschleunigter und verstärkter Konzentration führt und
1 Vgl. Regierungsbegründung zur 10. GWB-Novelle, BT-Drs. 19/23492, S. 73.
2
konglomerate bzw. vertikal integrierte Unternehmensstrukturen hervorbringt,2 in denen marktübergrei-fende Systeme von häufig skalierbaren und in verschiedener Weise – etwa durch die Bündelung der an-fallenden Daten – verbundenen Produkten und Diensten betrieben und erweitert werden können.3
Auf Basis der neuen Vorschrift des §19a GWB kann das Bundeskartellamt in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, denen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.
Mit Beschluss vom 30. Dezember 2021 hat das Bundeskartellamt auf der ersten Stufe die überragende marktübergreifende Bedeutung von Google für den Wettbewerb festgestellt. In weiteren vom Bundes-kartellamt gegen Google eingeleiteten Verfahren, die an dieser Feststellung anknüpfen können, werden derzeit die Datenverarbeitungskonditionen von Google (Aktenzeichen B7-70/21, siehe Pressemitteilung vom 25. Mai 2021) sowie das Nachrichtenangebot „Google News Showcase“ (Aktenzeichen V-43/20, siehe Pressemitteilung vom 4. Juni 2021) vom Bundeskartellamt geprüft.

Zur Feststellung der Normadressateneigenschaft nach § 19a Abs. 1 GWB

Nach mehreren Gesprächen und umfangreichen Ermittlungen bei Google und verschiedenen Marktteil-nehmern sowie nach Auswertung einer Vielzahl öffentlich verfügbarer Quellen hat das Bundeskartellamt im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller hierfür relevanten Umstände die überragende marktübergrei-fende Bedeutung von Google für den Wettbewerb festgestellt.
Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes ist Google unter anderem mit der Google Suche in er-heblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten („Plattformmärkten“) im Sinne des § 18 Abs. 3a GWB tätig, womit der Anwendungsbereich des § 19a GWB grundsätzlich eröffnet ist. Überwiegend stellt Google seine Dienste privaten Nutzern unentgeltlich zur Verfügung und finanziert sie über Werbung.
Eine Gesamtwürdigung aller vorliegend relevanten Umstände hat ergeben, dass Google über eine markt-übergreifende wirtschaftliche Machtposition verfügt, die ihm vom Wettbewerb nicht hinreichend kon-trollierte marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet. Insbesondere bietet Google eine breite Vielzahl von Diensten markt- und reichweitenstark an, hat bei diesem Angebot und seiner Erweiterung die Möglichkeit, von Verbundvorteilen zu profitieren und marktübergreifend gegenüber anderen
2 Vgl. Regierungsbegründung zur 10. GWB-Novelle, BT-Drs. 19/23492, S. 73.
3 Vgl. Regierungsbegründung zur 10. GWB-Novelle, BT-Drs. 19/23492, S. 73.
3
Unternehmen die Rolle eines Regelsetzers einzunehmen, kann dabei auf einen breiten sowie tiefen Da-tenzugang zurückgreifen und seine Position ohne hinreichende wettbewerbliche Kontrolle weiter konso-lidieren, ausweiten oder auf sonstige Weise zum eigenen Vorteil nutzen.
Ein im Rahmen der Gesamtwürdigung relevanter Aspekt war dabei, dass Google insbesondere mit der Google-Suche, YouTube, Chrome, Android und dem Play Store über eine Vielzahl von zumindest markt-starken Diensten verfügt. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes verfügt Google in Deutschland mit Marktanteilen von über 80 Prozent über eine marktbeherrschende Stellung jedenfalls auf dem Markt für allgemeine Suchdienste gegenüber Suchnutzern und ist der wesentliche Anbieter für suchgebundene Werbung. In quantitativer Hinsicht hat das Bundeskartellamt auch gewürdigt, dass etwa die Google Suche, YouTube, Android und Chrome hohe Zahlen täglich und monatlich aktiver Nutzer aufweisen. Besondere Bedeutung hat das Bundeskartellamt in diesem Zusammenhang dem Umstand beigemessen, dass Google in hohem Maße vertikal integriert ist und eine Vielzahl seiner Dienste auf sonstige Weise marktübergrei-fend miteinander verbunden sind und sich in ihren Funktionen ergänzen. So kann Google etwa das mobile Betriebssystem Android und eine Vielzahl seiner teilweise bereits reichweitenstarken oder neuen Dienste unter anderem über seinen eigenen App-Store „Play Store“ als Android-Apps anbieten und über Verein-barungen zu Vorinstallationen und Voreinstellungen mit Originalgeräteherstellern auf Android-Endgerä-ten vorinstallieren und voreinstellen lassen. Darüber hinaus wurde berücksichtigt, dass Google auch mit seinen Werbediensten umsatz- und reichweitenstark vertreten ist. Mit Online-Werbung hat der Konzern im Jahr 2020 rund 147 Mrd. US-Dollar erzielt, was etwa 80 Prozent des Gesamtumsatzes entsprach.4 Web-seiten im Google-Display-Netzwerk erreichen über 90 Prozent der Internetnutzer weltweit.5
Weiterhin hat das Bundeskartellamt in seine Gesamtwürdigung einbezogen, dass Google häufig in Kom-bination mit seinen Werbediensten an verschiedenen Stellen in seinem Ökosystem marktübergreifend eine Stellung als Regelsetzer gegenüber seinen (potentiellen) Nutzern und Werbekunden einnehmen kann. So vermarktet Google über seine Werbedienste nicht nur weit überwiegend exklusiv seine eigenen reichweitenstarken Werbeflächen, insbesondere in der Google-Suche und auf YouTube, sondern vermit-telt auch Werbeflächen Dritter. Außerdem ist Google im Bereich der offenen Display-Werbung mit einer Vielzahl verschiedener Werbedienste markt- und reichweitenstark auf allen Wertschöpfungsstufen ver-treten. Dabei hat Google an verschiedenen Stellen in seinem „digitalen Ökosystem“ bedeutenden Einfluss
4 Jahresabschlussbericht Google 2020, S. 33 ff., abrufbar unter: https://abc.xyz/investor/sta-tic/pdf/20210203_alphabet_10K.pdf (abgerufen am 30.12.2021).
5 https://support.google.com/google-ads/answer/117120?hl=de (abgerufen am 30.12.2021).
4
auf den Zugang Dritter zu seinen Nutzern und Werbekunden (z.B. über die Google-Suche, YouTube, And-roid, den Play Store oder seine Werbedienste). Insoweit kann von einem „Infrastrukturcharakter“ dieser Dienste gesprochen werden, weil eine Vielzahl anderer Leistungen weitgehend nur darüber erbracht wer-den können bzw. diese Dienste eine hohe Bedeutung für die wirtschaftlichen Aktivitäten Dritter haben. Das Bundeskartellamt hat ferner berücksichtigt, dass Google bei diesem marktübergreifenden Angebot einer Vielzahl verschiedener Dienste sowie ihrer Verbesserung und Erweiterung von Verbundvorteilen profitieren kann. Google verfügt über die Möglichkeit, seine Dienste gegenseitig zu bewerben, ihre Ver-breitung insbesondere durch Vereinbarungen mit Originalgeräteherstellern (OEMs) über Vorinstallatio-nen und Voreinstellungen (etwa in Android) zu fördern, Nutzer bei der Nutzung eines Dienstes auf weitere eigene Dienste zu lenken und durch markt- oder marktstufenübergreifende Leistungserweiterungen und -ergänzungen in neue Märkte vorzudringen.
Im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung hat das Bundeskartellamt darüber hinaus gewürdigt, dass Google auf Basis der Vielzahl seiner häufig jeweils markt- sowie reichweitenstarken und miteinander verbunde-nen und sich ergänzenden Dienste über einen breiten und tiefen Zugang zu Daten, allen voran Nutzerda-ten, verfügt. Der Einsatz verschiedener Identifikationsmerkmale ermöglicht es Google, die in den jeweili-gen Diensten anfallenden Daten nicht nur dienste-, sondern teilweise auch geräteübergreifend eindeutig Nutzern zuzuordnen und zu bündeln. Unter Berücksichtigung seines Portfolios an Diensten und Googles Möglichkeiten zur dienste- und teilweise geräteübergreifenden Zusammenführung von Daten ist sein breiter6 und tiefer7 Datenzugang in dieser Gesamtheit und spezifischen Form von besonderer wettbe-werblicher Relevanz, da er Google marktübergreifend eine herausgehobene Stellung zukommen lässt.
Im vorgenannten Zusammenhang war für das Bundeskartellamt weiter relevant, dass Googles aus diesem Datenzugang folgenden Potentiale und die damit einhergehenden wettbewerblichen Vorteile weiter dadurch verstärkt werden, dass die Daten sowie andere Google zur Verfügung stehende Ressourcen wie
6 Die „Breite“ der Daten bezieht sich auf die Anzahl der Nutzer, deren Daten Google sammelt. Ein „breiterer“ Datensatz bedeutet, dass Informationen über mehr Nutzer verfügbar sind, wodurch wiederum tendenziell des-sen Repräsentativität zunimmt und im Durchschnitt mehr Daten je Dienst bzw. insgesamt über alle Dienste hin-weg vorliegen, vgl. Krämer, Schnurr, Micova (Centre on Regulation in Europe), The Role of Data for Digital Mar-kets Contestability, September 2020, S. 55 f.
7 Der Begriff der „Datentiefe“ beschreibt die Qualität der Daten, die sich im Umfang der zu einem eindeutigen Nutzer insgesamt verfügbaren Daten, ihrer Aktualität, ihrer Genauigkeit und/oder ihrer Detailtiefe bzw. Gra-nularität ausdrücken kann. Ein „tieferer“ Datensatz bedeutet dementsprechend, dass im Durchschnitt mehr, qualitativ hochwertigere, aktuellere, genauere und/oder detailliertere bzw. granularere Daten je Nutzer vor-handen sind, s. ebenda.
5
etwa Googles Marke als „shareable input“ marktübergreifend verwendet und beliebig wiederverwendet werden können. Dies erleichtert es zusätzlich Dienste zu betreiben, zu verbessern, zu erweitern und neue Dienste zu entwickeln.
Das Bundeskartellamt hat bei seiner Entscheidung schließlich die erheblichen finanziellen Mittel von Google berücksichtigt, die in der Vergangenheit auch für unternehmensinterne Forschung und Entwick-lung sowie für eine Vielzahl von Unternehmenskäufen genutzt wurden. Es ist zu erwarten, dass Google auch künftig über erhebliche finanzielle Spielräume verfügen wird. Zum Zeitpunkt der Entscheidung lag Googles Marktkapitalisierung bei fast zwei Billionen USD. Google gehört damit zu den Top 10 der von Anlegern am höchsten bewerteten Unternehmen der Welt gemeinsam mit u.a. Amazon, Apple, Meta und Microsoft.8
Ergänzend hat das Bundeskartellamt in den Blick genommen, dass sich speziell die Google Suche in ihrer Bedeutung über den Bereich des Wirtschaftlichen hinaus auch auf das gesellschaftliche Leben insgesamt erstreckt. Als mit weitem Abstand größte und bedeutendste Suchmaschine der Welt kommt Google unter dem Aspekt der Teilhabe eine Schlüsselfunktion für das gesellschaftliche Leben in Deutschland und welt-weit zu. Die ergänzende Berücksichtigung auch von Belangen der gesellschaftlichen Teilhabe im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung entspricht zum einen der Rechtsprechung des BGH zu § 19 GWB.9 Zum anderen nehmen auch die Materialien zu § 19a GWB auf diese Belange Bezug.10
Zum Verfahrensgang:
Mit Beschluss vom 30. Dezember 2021 hat das Bundeskartellamt festgestellt, dass Google eine überra-gende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Am 4. Januar 2022 hat Google auf Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung verzichtet. Sie ist damit bestandskräftig.
8 S. zur Marktkapitalisierung der Alphabet Inc. https://www.google.com/finance/quote/GOOGL:NASDAQ bzw. analoge Unterseiten für die anderen genannten Gesellschaften (abgerufen am 30.12.2021).
9 BGH, Beschluss vom 23.06.2020 – KVR 69/19, WuW 2020, 525 Rn. 124 – Facebook.
10 Beschlussempfehlung 10. GWB-Novelle, BT-Drs. 19/25868, S. 7.
6

Zur Alphabet Inc. und Google Germany GmbH:

Die Alphabet Inc. ist eine im Jahr 2015 zur Umstrukturierung des bis dahin bestehenden Google-Konzerns errichtete, börsennotierte Holdinggesellschaft mit Sitz in Mountain View (USA), deren Tochtergesellschaf-ten in verschiedenen Technologie-Bereichen tätig sind und über die Google insbesondere Internetdienste und Softwareprodukte anbietet.
In Deutschland ist Google über die Google LLC mit der Tochtergesellschaft Google Germany GmbH, Ham-burg, vertreten. Neben der Google LLC verfügt die Konzernmutter gegenwärtig mittelbar über die XXVI Holdings Inc. als Alleingesellschafterin über vier weitere Gesellschaften mit jeweils weiteren Untergesell-schaften.
Der Google LLC zugeordnet sind die Geschäftsbereiche „Google Services“ („Google-Dienste“) und „Google Cloud“. Zu den Google-Diensten gehören u.a. Android, Chrome, Gmail, Google Drive, Google Maps, Google Photos, Google Play, Search, YouTube und Google Hardware (Pixel-Smartphones, Chromecast, Google TV und Google Nest Hub). Weit überwiegend werden die Google-Dienste durch Werbung finan-ziert.11
Daneben bietet Google eine Vielzahl verschiedener Werbedienste zur Vermarktung seiner eigenen und der Online-Werbeflächen Dritter sowie für damit in Zusammenhang stehende Dienstleistungen wie etwa das Tracking des Nutzerverhaltens an.
Den weiteren Gesellschaften sind alle Geschäftsaktivitäten außerhalb der Google LLC (sog. „other bets“) zugeordnet. Googles Geschäftstätigkeiten im Bereich der „other bets“ sind vielfältig und reichen von Un-ternehmen mit dem Schwerpunkt Internetzugang (Access bzw. Fiber), über Smarthome-Anwendungen (Nest), künstliche Intelligenz „KI“ (DeepMind) bis zu Biotechnologieunternehmen (Verily), selbstfahren-den Autos (Waymo), Lieferdrohnen (Wing) und Venture Capital-Firmen (GV und CapitalG).
Der weltweite Konzernumsatz von Google betrug im Jahr 2020 183 Mrd. US-Dollar.
11 Die wesentliche Ausnahme ist der bislang defizitäre Cloud-Bereich, auf den etwa 10 Prozent der Gesamtum-satzerlöse entfallen. Hier verfolgt Google das Geschäftsmodell, Erlöse unmittelbar aus der Bereitstellung von Dienstleistungen für Dritte zu erzielen. Vgl. Jahresabschlussbericht Google 2020, S. 7, 40, abrufbar unter: https://abc.xyz/investor/static/pdf/20210203_alphabet_10K.pdf (abgerufen am 30.12.2021