Im einstweiligen Verfügungsverfahren nachgeschobene Verletzungsform kann eilbdürftig sein und damit die Verfügung begründen
1. Richtet sich der Unterlassungsantrag gegen eine konkrete Verletzungsform, kann das Gericht das Verbot dieser Verletzungsform – ungeachtet der Tatsache, dass vom Streitgegenstand eines solchen Antrags sämtliche mit der Verletzungsform verbundenen Umstände umfasst sind – im Hinblick auf die Dispositionsmaxime nur auf solche Beanstandungen stützen, auf die sich der Kläger im Verfahren berufen hat (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, GRUR-RR 2013, 302 – Zählrate).
2. Wird im Laufe eines Eilverfahrens zur Begründung eines gegen die konkrete Verletzungsform gerichteten Verbots eine weitere Beanstandung nachgeschoben, steht dem der fehlende Verfügungsgrund dann nicht entgegen, wenn der Antragsteller von den zu der neuen Beanstandung führenden Umständen erst während des Verfahrens Kenntnis erlangt hat.
OLG Frankfurt 6 U 92/14 vom 16.10.2014 – nachgeschobene Verletzungsform
…
In dem Rechtsstreit … wird die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 7.5.2014 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a. M. auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.000,- € festgesetzt.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Gründe
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Die Berufung war durch Beschluss zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 II ZPO erfüllt sind. Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 17.7.2014 Bezug genommen (§ 522 II 3 ZPO), dessen Inhalt nachfolgend nochmals wiedergegeben wird:
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„1. Ohne Erfolg wendet die Antragsgegnerin ein, das vom Landgericht in der Fassung des angefochtenen Urteils ausgesprochene Verbot sei von dem mit dem Verfügungsantrag geltend gemachten Begehren nicht umfasst.
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Das Landgericht hat bereits mit dem Verfügungsbeschluss vom 4.2.2014 den im Übrigen antragsgemäß erlassenen Unterlassungstenor um eine Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform („wie geschehen in Anlage AST 2“) ergänzt. Damit sind vom Streitgegenstand sämtliche in der konkreten Verletzungsform enthaltene Beanstandungen umfasst (vgl. BGH GRUR 2013, 401 – Biomineralwasser, Tz. 19). Zwar gebietet nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. GRUR-RR 2013, 302 – Zählrate) auch in diesen Fällen die Dispositionsmaxime, dass das Gericht das Verbot der konkreten Verletzungsform nur auf diejenigen Beanstandungen stützen darf, auf die sich der Kläger oder Antragsteller zur Begründung seines Unterlassungsbegehrens berufen hat. Diese Voraussetzung hat das Landgericht jedoch beachtet.
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Im angefochtenen Urteil wird der Irreführungsvorwurf maßgeblich damit begründet, die konkrete Verletzungsform erwecke nach ihrem Gesamteindruck die unrichtige Vorstellung, der Nutzer könne Kreuzfahrten auf 400 Schiffen über die dort zur Verfügung gestellte „Schnellsuche“ buchen. Auf diesen Irreführungsgesichtspunkt hatte die Antragstellerin jedenfalls im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 1.4.2014 ihr Unterlassungsbegehren gestützt. Dies begegnete auch unter dem Gesichtspunkt des Verfügungsgrundes keinen Bedenken, nachdem die Antragsgegnerin sich erstmals mit der Widerspruchsbegründung darauf berufen hatte, über ihre Seite seien außerhalb der „Schnellsuche“ über sonstige Buchungsanfragen weitere Schiffe buchbar.
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2. Das Landgericht hat die angegriffene Werbung unter dem unter Ziffer 1. dargestellten Gesichtspunkt auch mit zutreffenden Gründen als irreführend (§ 5 UWG) angesehen.
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Der Durchschnittsverbraucher entnimmt der Angebotsseite gemäß Anlage AST 2 auf Grund ihres Gesamtinhalts, dass sich der Hinweis auf 23.400 Kreuzfahrten „auf mehr als 400 Schiffen“ auf die Buchbarkeit über die zugleich zur Verfügung gestellte „Schnellsuche“ bezieht. Der Kasten mit der Überschrift „Schnellsuche“ ist innerhalb der angegriffenen Verletzungsform derart hervorgehoben, dass diese Verknüpfung für den situationsadäquat aufmerksamen Nutzer ohne weiteres nahelegt wird. Für die Annahme, dass die genannte Zahl auch Schiffe einschließe, die lediglich außerhalb der „Schnellsuche“ über eine – wenn auch ebenfalls online durchzuführende – Buchungsanfrage gebucht werden können, ergibt sich aus der Werbung jedenfalls kein hinreichender Anhaltspunkt.
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Die hervorgerufene Fehlvorstellung führt auch zu einer relevanten Irreführung, da eine hohe Zahl der über die „Schnellsuche“ buchbaren Schiffe die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers beeinflussen kann.“
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Das Vorbringen im Schriftsatz des Antragsgegnervertreters vom 14.8.2014 rechtfertigt ebenfalls keine abweichende Beurteilung.
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Dass das Landgericht durch das angefochtene Urteil das mit dem Verfügungsbeschluss vom 4.2.2014 erlassenen Verbot inhaltlich modifiziert hat und ein Verbot dieses Inhalts auf der Grundlage der Antragsschrift nach den vom Senat in der „Zählrate“-Entscheidung entwickelten Grundsätzen nicht hätte erlassen werden können, ist in dem Hinweisbeschluss vom 17.7.2014 beachtet worden. Wie in diesem Beschluss weiter ausgeführt, war das Landgericht jedoch zu der mit dem Urteil vorgenommenen Modifizierung des Verbots befugt, nachdem die Antragstellerin im Laufe des Widerspruchsverfahrens ihr Unterlassungsbegehren auch auf den insoweit maßgeblichen Gesichtspunkt gestützt hatte.
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Der für die Modifikation des Unterlassungsbegehrens erforderliche Verfügungsgrund war auch im Hinblick auf die im Schriftsatz des Antragsgegnervertreters vom 14.8.2014 angestellten Erwägungen gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin den Umstand, dass die in der Werbung genannte Zahl von Schiffen jedenfalls nicht über die „Schnellsuche“ gebucht werden kann, bei Vorbereitung des Verfügungsantrages hätte erkennen können. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats trifft den Verletzten im Rahmen der Beurteilung des Verfügungsgrundes keine Marktbeobachtungspflicht; ein Anlass zum Tätigwerden besteht erst dann, wenn der Verletzte von der Verletzungshandlung positive Kenntnis erhält oder sich der Kenntnisnahme bewusst verschließt (vgl. zuletzt Urteil vom 27.3.2014 – 243/13; juris-Tz. 29). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
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Auch hinsichtlich der materiell-rechtlichen Beurteilung nach § 5 UWG bleibt der Senat bei seiner im Beschluss vom 17.7.2014 dargelegten Auffassung.