Feststellung der Kartellrechtswidrigkeit von Großkunden-Verträgen der Deutschen Post: Preis-Kosten-Schere & Bezugszwang
Feststellung der Kartellrechtswidrigkeit von Großkunden-Verträgen der Deutschen Post
BKartA B 9 – 128/12 vom 2. Juli 2015
Das Bundeskartellamt hat in einem Missbrauchsverfahren gegen die Deutsche Post AG (DPAG) festgestellt, dass die DPAG in der Vergangenheit ihre marktbeherrschende Stellung im Bereich Briefdienstleistungen missbräuchlich ausgenutzt und dadurch Wettbewerber behindert hat. In der Entscheidung wurden zwei gesonderte Missbrauchstatbestände festgestellt: in vier Fällen eine sog. Preis-Kosten-Schere, in drei Fällen wurden die eingeräumten Konditionen zu-sätzlich davon abhängig gemacht, dass die Kunden einen hohen Prozentsatz ihres Bedarfes an Postdienstleistungen bei der DPAG decken.
Das Verfahren wurde Ende Oktober 2012 mit Auskunftsbeschlüssen an 45 große Briefversen-der in Deutschland eingeleitet. Anlass hierfür waren Beschwerden alternativer Briefdienstleister darüber, dass die DPAG einzelnen Großkunden Angebote für die Beförderung ihrer Briefe ge-macht haben soll, die unter den minimalen Teilleistungsentgelten liegen, also unter demjenigen Betrag, den ein alternativer Briefdienstleister mindestens an die DPAG zahlen müsste, wenn er die gleichen Sendungen vorsortiert in ein Briefzentrum in der DPAG einliefern würde. Dies ist in folgendem Kontext zu sehen:
Als marktbeherrschender Briefdienstleister ist die DPAG verpflichtet, Wettbewerbern einen so-genannten Teilleistungszugang zu ihrem Netz anzubieten. Wird dieser in Anspruch genommen, liefert der Wettbewerber Briefe, die er zuvor bei seinem Kunden eingesammelt und „teilleis-tungskonform aufbereitet“, d. h. frankiert, nummeriert und vorsortiert hat, in das Briefzentrum der DPAG ein. Briefe können im Rahmen des Teilleistungszugangs in das BZA (das „Briefzent-rum Abgang“ beim Absender) oder das BZE („Briefzentrum Eingang“ beim Empfänger) eingelie-fert werden. Im ersten Fall übernimmt die DPAG den Transport vom BZA zum BZE, in beiden Fällen befördert die DPAG die Briefe vom BZE zum Empfänger. Für ihre Leistung stellt die DPAG, vereinfacht gesprochen, das sogenannte Teilleistungsentgelt in Rechnung. Dieses wird
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berechnet, in dem von dem Standardporto (also derzeit 62 Cent je Standardbrief) ein Teilleistungsrabatt
von bis zu 40 % abgezogen wird. Das Teilleistungsentgelt variiert von Absender zu
Absender, abhängig unter anderem vom Sendungsmix und von der Höhe des durchschnittlichen
Teilleistungsrabatts. Der Wettbewerber, der den Teilleistungszugang nutzt, kombiniert
diese Leistung mit den selbst erbrachten Dienstleistungen (Abholen beim Absender, Frankieren,
Vorsortieren, Einliefern in das Briefzentrum – diese werden als Vorleistungen bezeichnet)
zu dem Produkt der Ende-zu-Ende-Beförderung des Briefes.
In ökonomischer Sicht stellt die Teilleistung das Vorprodukt dar, da sie als Input für die Erbringung
der vollständigen Leistung benötigt wird. Diese Teilleistung wird von der DPAG auf der
vorgelagerten Marktstufe angeboten und von den Wettbewerbern nachgefragt. Auf der nachgelagerten
Marktstufe stehen sich die DPAG und ihre Wettbewerber gegenüber, die beide den
Endkunden, hier den Großkunden, die Dienstleistung als Ende-zu-Ende-Beförderung anbieten.
Eine Preis-Kosten-Schere (auch als Margenbeschneidung bezeichnet) liegt vor, wenn ein beherrschender
Anbieter eines Vorproduktes (hier: des Teilleistungszugangs) ebenfalls auf dem
nachgelagerten Markt (hier: der Ende-zu-Ende-Beförderung von Briefen) tätig ist und dort Preise
verlangt, die niedriger sind als die von ihm auf dem vorgelagerten Markt verlangten Preise
für das Vorprodukt. Dies ist der Fall, wenn die DPAG als marktbeherrschendes Unternehmen
für den Teilleistungszugang einen höheren Preis fordert als für die Ende-zu-Ende-Beförderung
von Briefen. Das gilt auch, wenn die Differenz nicht ausreicht, um die zusätzlichen Kosten für
die Ende-zu-Ende-Beförderung zu decken.
Die DPAG ist Normadressatin des Missbrauchsverbots, denn sie ist auf den hier relevanten
Märkten marktbeherrschend. Auf dem vorgelagerten Teilleistungsmarkt ist die DPAG das einzige
Unternehmen, welches Teilleistungen für eine bundesweit flächendeckende Zustellung anbietet.
Auch auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt ist die DPAG mit einem von der Bundesnetzagentur
festgestellten Marktanteil von knapp 90% marktbeherrschend. Selbst wenn
man mit der DPAG nur das Geschäftskundensegment betrachtet, ist eine Marktbeherrschung
durch die DPAG anzunehmen. Bei der Post von Geschäftskunden hält die DPAG nach diesen
Angaben einen Marktanteil von 63,7 %, während auf Wettbewerber rund 15-20 % entfallen; die
restlichen rund 20-25 % entfallen auf Konsolidierer. Als Konsolidierer bezeichnet man Unternehmen,
welche Postsendungen bei den Geschäftskunden einsammeln und bei der DPAG einliefern,
die diese Sendungen wiederum ausliefert. Sonstige Kriterien wie die Finanzkraft oder
die Nachfragerstruktur bestätigen den Befund. Auch der Trend zur „E-Substitution“ (Ersetzen
von Briefsendungen durch elektronische Kommunikation) schwächt nicht die Marktbeherr3
schung der DPAG ab, sondern führt lediglich zu einem allmählichen Schrumpfen des Marktvo-lumens.
Das Bundeskartellamt hat daher die vereinbarten Endkundenpreise mit den individuellen Teil-leistungsentgelten verglichen. Danach lagen jedenfalls in vier Fällen die Preise, welche die DPAG auf dem nachgelagerten Markt für die Ende-zu-Ende-Beförderung der Briefe verlangt hatte, niedriger als die Teilleistungsentgelte, die ein Wettbewerber auf dem vorgelagerten Markt an die DPAG hätte entrichten müssen, wenn er den Teilleistungszugang in Anspruch nehmen wollte. Die unter den Teilleistungsentgelten liegenden Zielpreise wurden zwischen der DPAG und den vier Großkunden in gesonderten Verträgen vereinbart. Dabei wurden verschiedene Instrumente eingesetzt, um die Differenz zwischen den Teilleistungsentgelten und dem Zielpreis zu überbrücken: Werbeentgelte, die die DPAG an den Kunden dafür bezahlt hat, dass der Kun-de das Deutsche-Post-Logo, ggfs. mit einem Zusatz „versendet durch die Deutsche Post“ auf-druckt, Entgelte für die Lieferung von Qualitätsdaten und ein Großkundenrabatt. Aus der Ver-knüpfung mit den Zielpreisen zeigt sich, dass diese Instrumente ausschließlich dem Zweck dienten, den von den Großkunden zu zahlenden Preis zu senken. Aufgrund der negativen Diffe-renz zwischen Zielpreis und Teilleistungsentgelt lag eine Preis-Kosten-Schere vor. Die DPAG hat damit ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht.
Zudem wurde in den Vereinbarungen festgelegt, dass diese günstigen Preise unter der Voraus-setzung eingeräumt werden, dass der Kunde einen bestimmten hohen Prozentsatz (jeweils über 90 %) seines Bedarfs an Briefdienstleistungen bei der DPAG deckte. Damit hatten andere Briefdienstleister keine Chance mehr, etwa Zweitanbieter bei diesen Großkunden zu werden. Hierin lag ein gesonderter Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung auf dem Endkun-denmarkt.
Die Zielpreisvereinbarungen wurden seit der Einleitung des Verfahrens nicht mehr verlängert und sind ausgelaufen. Aus Sicht des Bundeskartellamtes ist es daher im vorliegenden Fall aus-reichend, eine feststellende Entscheidung zu erlassen. Ein Feststellungsinteresse liegt vor. Zum einen besteht Wiederholungsgefahr, da die Beteiligte die Auffassung vertritt, zu dem gerügten Verhalten berechtigt zu sein. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beige-ladene oder ein anderes Unternehmen Schadensersatzansprüche geltend macht. Dies würde erleichtert, wenn eine behördliche Entscheidung Feststellungswirkung entfaltet.
Eine Untersagungsentscheidung erscheint dagegen nicht notwendig. Das Bundeskartellamt behält sich jedoch vor, weiter praktizierte Verhaltensweisen gesondert zu prüfen.
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Die Deutsche Post AG hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt, über die das Oberlan-desgericht Düsseldorf zu entscheiden hat.