Die Verdachtsberichterstattung über eine Organentnahme ist von der Pressefreiheit und der Meinungsfreiheit gedeckt.

Die Verdachtsberichterstattung über eine Organentnahme ist von der Pressefreiheit und der Meinungsfreiheit gedeckt.

BGH URTEIL VI ZR 505/14 vom 12. April 2016

BGB § 823

Zu der zutreffenden Sinndeutung einer Äußerung und zu den Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung (hier: Pressebericht über eine Organentnahme).

BGH, Urteil vom 12. April 2016 – VI ZR 505/14 – OLG Frankfurt am Main

LG Frankfurt am Main

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Stöhr und Offenloch und die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff
für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2014 auf-gehoben und das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31. Ok-tober 2013 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Klägerin ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts und die bundesweite Koordinierungsstelle für postmortale Organspenden gemäß § 11 Abs. 1 Transplantationsgesetz (im Folgenden „TPG“). Sie nimmt die Beklagten, die Verlegerin der Tageszeitung TAZ und eine Journalistin, wegen der Veröf-fentlichung eines Artikels vom 8. Mai 2012 auf Unterlassung in Anspruch. In dem Artikel befasst sich die Beklagte zu 2 kritisch mit dem damaligen Medizini-schen Vorstand der Klägerin Prof. Dr. K. sowie einer in der Nacht vom 8. auf
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den 9. Dezember 2005 erfolgten Organentnahme. Er lautet in den hier erhebli-chen Passagen wie folgt:
„(…) Die Herausnahme der Organe (…) sollte beginnen. Der junge Kollege, der die hierfür nötigen Formalitäten überprüfen musste, war damals noch nicht lan-ge Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organtransplantation (…). Aber das klei-ne Einmaleins der Hirntoddiagnostik (…) kannte er. Er wurde stutzig. Es fehlte nicht bloß irgendeine Unterschrift. Es fehlte das komplette zweite ärztliche Pro-tokoll, jenes Dokument also, das hätte bestätigen müssen, dass bei dem Mann (…) der zweifelsfreie, vollständige und unwiederbringliche Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen nicht bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden war. Sondern dass der Hirntod nach einem gewissen zeitlichen Abstand erneut und von ei-nem zweiten Mediziner nachgewiesen worden war, um wirklich jeden Zweifel auszuschließen. Der Verdacht lag nahe, dass diese zweite Diagnostik schlicht vergessen worden war.
Fristlose Kündigung
Der junge Mann informierte seine Vorgesetzte in der nordrhein-westfälischen DSO-Zentrale [W.], und die wiederum noch in der Nacht ihren obersten Chef in der DSO-Hauptverwaltung (…) [K.]. (…) an jenem 9. Dezember wurden dem Spender (…) Organe entnommen (…). Ohne dass eine weitere Diagnostik er-folgt wäre. Und ohne dass das vorgeschriebene zweite Hirntod-Protokoll vorge-legen hätte. Kaum eine medizinische Prozedur ist so verbindlich geregelt wie die Hirntoddiagnostik. Seit 1997 besteht hierzu eine quasi gesetzliche Regelung durch das Transplantationsgesetz. Danach müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod zweimal bestimmen – und dies auch zweimal doku-mentieren, und zwar schriftlich. Die Düsseldorfer Organentnahme hätte unter diesen Umständen nicht stattfinden dürfen.
Dass sie trotzdem erfolgte, geschah mit Billigung und unter der Verantwortlich-keit des Mannes, der damals wie heute an der Spitze der DSO steht: [K.], (…), Medizinischer Vorstand der DSO – und damit qua Amt der Monopolist für Lei-chenorgane in Deutschland. Wie weit [K.s] Macht reicht, macht der weitere Ver-lauf des Düsseldorfer Hirntod-Dramas deutlich: Eine Mitarbeiterin aus dem nordrhein-westfälischen DSO-Team, die sich für eine Klärung des Falls stark-gemacht hatte, bekam die fristlose Kündigung zugestellt – per Bote um Mitter-nacht.
(…) waren viele der Vorwürfe, die im Frühjahr 2012 durch ein Wirtschaftsprü-fungsgutachten bestätigt wurden, dem Stiftungsrat seit etwa drei Jahren be-kannt – ohne dass das Aufsichtsgremium eingriff. Erst als im Herbst 2011 durch anonyme Mails belastende Details öffentlich wurden, beauftragte der Stiftungs-rat externe Prüfer. „Sie haben [K.] viel zu lange gehalten“, sagt der frühere Ge-
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schäftsführende Arzt der DSO-Region Nord-Ost (…). „Wenn sie ihn jetzt fallen lassen, kommt das einem eigenen Schuldeingeständnis gleich“.
Keine Staatsanwaltschaft
Etwa im Fall der Hirntoddiagnostik: Nachdem der Düsseldorfer Fall und [K.s] Haltung hierzu DSO-intern für breite Debatten gesorgt hatten, hätte man an-nehmen können, dass den DSO-Kontrollgremien an Transparenz und Aufklä-rung gelegen wäre. (…) (Sie) indes hielten es für opportun, die Sache selbst und damit unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu lösen. Auch die DSO beendete den Fall auf ihre Art – mit Kündigung und einem arbeitsrechtlichen Prozess ge-gen die kritische Mitarbeiterin, die eine Aufarbeitung der umstrittenen Organ-entnahme gefordert hatte. In einem der vielen Schriftsätze, die daraufhin ergin-gen, ließ die DSO immerhin durch ihre Anwälte ein brisantes Fehlverhalten ein-räumen: „Richtig ist, dass es im Dezember 2005 in Düsseldorf eine Organent-nahme gab, bei welcher die Hirntot-Diagnostik [gemeint ist hier: Hirntod-Diagnostik] in einem Punkt von der bei der Beklagten üblichen und vorgegebe-nen Art und Weise abwich. Die Beteiligten waren sich aber sicher, dass das zweite Protokoll existent war, es konnte zum Zeitpunkt der Organentnahme nur nicht aufgefunden werden.“ (…)
Als die geschasste Mitarbeiterin daraufhin den Stiftungsrat, die Überwachungs-kommission und die StäKO schriftlich um Hilfe bat, wurde sie vertröstet. Im Feb-ruar 2010 schließlich, da hatte sie längst zermürbt den Auflösungsvertrag un-terschrieben, teilte ihr die Überwachungskommission lapidar mit: „Die von Ihnen berichtete Sache ließ sich nicht widerspruchsfrei klären.“ (…) Und so kommt es, dass [K.], wenn man heute noch einmal mit ihm sprechen möchte über die Ge-schehnisse damals in Düsseldorf, gelangweilt ins Telefon seufzt und mit einer Gegenfrage kontert: „Haben Sie etwa noch nie ein Papier verlegt?“
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagten verurteilt, es zu unterlassen,
a) über eine in der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 2005 erfolgte Or-ganentnahme öffentlich zu behaupten, „es fehlte das komplette zwei-te ärztliche Protokoll“ und/oder „der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen sei bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden“ und/oder „der Ver-dacht lag nahe, dass diese zweite Diagnostik schlicht vergessen wor-den war“ (…) und
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b) öffentlich zu behaupten: „Wie weit K.’s Macht reicht, macht der weite-re Verlauf des Düsseldorfer Hirntod-Dramas deutlich: Eine Mitarbeite-rin aus dem Nordrhein-Westfälischen DSO-Team, die sich für eine Klärung des Falls stark gemacht hatte, bekam die fristlose Kündigung zugestellt – per Bote um Mitternacht“ (…).
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klage-abweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-führt, ohne Erfolg machten die Beklagten geltend, dass der Klägerin als öffent-lich Beliehene, die Staatsaufgaben ausübe, kein Grundrechtsschutz zustehe. Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts genössen grundsätzlich zivil-rechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen, durch die ihr Ruf in der Öffent-lichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Zwar hätten sie weder eine persönliche Ehre noch könnten sie wie eine natürliche Person Träger des all-gemeinen Persönlichkeitsrechts sein. Sie genössen jedoch, wie § 194 Abs. 3 StGB zeige, im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben straf-rechtlichen Ehrenschutz, der zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen könne. Ein solcher Fall sei vorliegend gegeben. Die inkriminierten Äußerungen seien geeignet, die Behörde schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchti-gen, da sie den Ruf der Klägerin in einem hochsensiblen Bereich in der Öffent-lichkeit herabsetzten.
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Auch fehle es nicht an den Voraussetzungen einer Wiederholungsgefahr. Dass die Beklagten hinsichtlich der Internetveröffentlichung einen „Ergänzen-den Bericht“ gefertigt und ins Netz gestellt hätten, lasse die Wiederholungsge-fahr nicht entfallen. Das gelte umso mehr, als es sich vorliegend um das Print-medium handele. An die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung für die Wie-derholungsgefahr seien hohe Anforderungen zu stellen, die nach der Recht-sprechung nur durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu erfüllen seien. Eine solche sei nicht abgegeben worden.
Zu Recht sei den Beklagten die öffentliche Behauptung untersagt wor-den, es habe das komplette zweite ärztliche Protokoll gefehlt, der Ausfall sämt-licher Hirnfunktionen sei bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden, sowie der Verdacht habe nahegelegen, dass diese zweite Diagnostik schlicht vergessen worden sei. Durch die Formulierung, es habe das komplette zweite ärztliche Protokoll gefehlt, werde bei einem unbefangenen Leser der falsche Eindruck erzeugt, dass sich nur ein Arzt mit dem Ausfall der Hirnfunktionen des Betroffe-nen auseinandergesetzt habe. Es sei für den unbefangenen Leser, der sich mit den Anforderungen des Transplantationsgesetzes nicht auskenne, nicht er-kennbar, dass mit der Formulierung „der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen sei bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden“ die Feststellung durch einen zwei-ten Arzt bezüglich der Unwiederbringlichkeit der Hirnfunktionen gemeint sei. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob der Artikel suggeriere, dass überhaupt keine Verlaufsuntersuchung stattgefunden habe. Dagegen spreche, dass es in dem Artikel heiße, dass der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen „bloß ein einziges Mal diagnostiziert“ worden sei. Daraus sei zu schließen, dass dieser Ausfall wenigstens einmal festgestellt worden sei. Allerdings unterscheide der unbe-fangene Leser nicht zwischen Erstuntersuchung und Verlaufsuntersuchung und damit zwischen der Diagnose über den Ausfall der Hirnfunktionen und der zwei-
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ten Diagnose über den zweifelsfreien, vollständigen und unwiederbringlichen Ausfall.
Ohne Erfolg machten die Beklagten mit der Berufung geltend, sie hätten bereits in erster Instanz behauptet, dass es insgesamt nur einen Gutachter ge-geben habe, nämlich Dr. S. Selbst wenn man diesen Vortrag zugrunde lege, ändere sich an der Berechtigung der Verbotsverfügung nichts. Denn wenn – wie unstreitig – Dr. S. zwei Untersuchungen vorgenommen habe, fehle jedenfalls nicht das komplette zweite ärztliche Protokoll. Und bezüglich des Satzes „der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen sei bloß ein einziges Mal diagnostiziert wor-den“ bleibe es bei der Verbotsverfügung im Hinblick darauf, dass der unbedarf-te Durchschnittsleser daraus den Schluss ziehe, dass ohnehin nur eine Unter-suchung stattgefunden habe, weil er nicht zwischen Erst- und Verlaufsuntersu-chung zu unterscheiden vermöge. Und auch der dritte Passus „der Verdacht lag nahe, dass diese zweite Diagnostik schlicht vergessen worden sei“ suggeriere entgegen der unstreitigen Tatsache, dass Dr. S. beide Untersuchungen vorge-nommen habe, es sei nur eine Diagnose erfolgt. Davon abgesehen handele es sich bei der Behauptung der Beklagten, es sei überhaupt nur ein Arzt tätig ge-worden, um eine Behauptung ins Blaue hinein, für die es keinen Anhaltspunkt gebe und die deshalb keine Beweisaufnahme rechtfertige.
Auch bezüglich der zweiten streitgegenständlichen Äußerung stehe der Klägerin ein Unterlassungsanspruch zu. Ohne Erfolg machten die Beklagten geltend, es liege keine unwahre Tatsachenbehauptung vor. Denn in dem Artikel werde – wenn auch inzidenter – sehr wohl auf die Tatsache abgehoben, dass die Mitarbeiterin die Kündigung erhalten habe, weil sie sich für eine Klärung des Falles stark gemacht habe. Auch wenn im Artikel „nachdem“ und nicht „weil“ stehe, stelle der Leser den Zusammenhang zwingend her.
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II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Unterlassungsanspruch wegen der beanstandeten Äußerungen nicht zu, § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 2 BGB, §§ 185 ff. StGB.
1. Zutreffend rügt die Revision, dass das Berufungsgericht seiner Würdi-gung Äußerungen zugrunde legt, die die Beklagten bei zutreffender Sinndeu-tung ihrer Aussagen in dieser Form nicht getätigt haben.
a) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Vo-raussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Maß-geblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Aus-gehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, ist bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äuße-rung steht, zu berücksichtigen. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Ge-samtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (st. Rspr., Senatsurteile vom 14. Mai 2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 Rn. 14 mwN; vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 19 mwN; vom 22. November 2005 – VI ZR 204/04, NJW 2006, 601 Rn. 14).
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b) Zu Unrecht geht das Berufungsgericht davon aus, durch die in Bezug auf die Organentnahme beanstandeten Äußerungen werde bei einem unbefan-genen Durchschnittsleser der Eindruck erzeugt, dass der Ausfall der Hirnfunkti-onen des Betroffenen nur durch einen Arzt – und nicht durch zwei Ärzte – diag-nostiziert worden sei. Der Artikel stellt schon nicht die Behauptung auf, der Aus-fall sämtlicher Hirnfunktionen sei bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden.
aa) Nach seinem Wortlaut enthält der Artikel dazu keine Aussage. Er be-fasst sich vielmehr damit, ob die für die Feststellung des Hirntodes erforderli-chen Voraussetzungen („Formalitäten“) vor der in der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 2005 erfolgten Organentnahme vorgelegen haben. Dazu führt er aus, dass das „komplette zweite ärztliche Protokoll“ gefehlt habe, „jenes Doku-ment also, das hätte bestätigen müssen, dass (…) der zweifelsfreie, vollständi-ge und unwiederbringliche Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen nicht bloß ein ein-ziges Mal diagnostiziert worden war, sondern dass der Hirntod nach einem ge-wissen zeitlichen Abstand erneut von einem zweiten Mediziner nachgewiesen worden war (…).“ Die Behauptung, es habe sich nur ein Arzt mit dem Ausfall der Hirnfunktionen des Betroffenen befasst, wird danach (gar) nicht aufgestellt. Es wird lediglich behauptet, dass vor der Organentnahme das Dokument ge-fehlt habe, aus dem sich die erforderliche Feststellung des Hirntodes durch ei-nen zweiten Mediziner schriftlich ergab.
bb) Auch nach dem Gesamtzusammenhang, in den die Äußerung ge-stellt ist, wird der unbefangene Leser, der sich mit den Regelungen des Trans-plantationsgesetzes und den Voraussetzungen der Hirntoddiagnostik nicht be-fasst hat, den angegriffenen Äußerungen die ihr vom Berufungsgericht beige-legte Bedeutung nicht entnehmen.
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Die Entnahme von Organen ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Transplanta-tionsgesetzes (TPG) in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung nur zulässig, wenn der Tod des Organspenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Die Feststellungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 TPG sind jeweils durch zwei dafür qualifizierte Ärzte zu treffen, die den Organspender unabhängig voneinander untersucht haben, § 5 Abs. 1 Satz 1 TPG. Die Feststellung der Untersuchungs-ergebnisse und ihr Zeitpunkt sind von den Ärzten unter Angabe der zugrunde-liegenden Untersuchungsbefunde jeweils in einer Niederschrift aufzuzeichnen und zu unterschreiben, § 5 Abs. 2 Satz 3 TPG.
Gemäß den Richtlinien des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärzte-kammer zur Feststellung des Hirntodes in der zum maßgeblichen Zeitpunkt gel-tenden dritten Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantations-gesetz (DÄBl. 95, Heft 30/1998, S. A-1861 ff.) ist Voraussetzung für die Diag-nose des Hirntods die Feststellung einer akuten schweren Hirnschädigung, die Feststellung verschiedener klinischer Symptome sowie der Irreversibilitäts-nachweis. Letzterer kann entweder durch ergänzende Befunde oder durch eine erneute Feststellung der klinischen Symptome nach einer Beobachtungszeit von 12 oder mehr Stunden geführt werden. Demgemäß sieht das den genann-ten Richtlinien beigefügte Formular eines Protokolls zur Feststellung des Hirn-todes (DÄBl. 95, Heft 30/1998, S. A-1866) vor, dass unter Ziffer 1 des Proto-kolls Feststellungen zur Hirnschädigung zu treffen, unter Ziffer 2 klinische Symptome des Ausfalls der Hirnfunktion zu dokumentieren und unter Ziffer 3 der Irreversibilitätsnachweis durch Protokollierung der Beobachtungszeit oder ergänzende Untersuchungen festzuhalten sind, sowie sodann eine abschlie-ßende Diagnose zur Feststellung des Hirntods zu erfolgen hat.
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Über diesen Hintergrund und insbesondere darüber, auf welchem Weg der untersuchende Arzt zu der abschließenden Diagnose gelangt, wird der Le-ser des Artikels indes nicht informiert. Er entnimmt dem Artikel nur, dass der Hirntod in dem zweifelsfreien, vollständigen und unwiederbringlichen Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen besteht, dass er vor der postmortalen Organspende von zwei Ärzten unabhängig voneinander bestimmt und schriftlich dokumentiert werden muss und dass bei der Organentnahme eine der beiden erforderlichen abschließenden Diagnosen nicht in der erforderlichen Dokumentationsform – Schriftform – vorgelegen habe.
Vor dem Hintergrund der in dem Artikel enthaltenen Informationen unter-scheidet der Leser nicht zwischen der Erstuntersuchung, durch die die Hirn-schädigung festgestellt wird und die klinischen Symptome diagnostiziert wer-den, und dem Irreversibilitätsnachweis durch eine Verlaufsuntersuchung, son-dern sieht beide zur Feststellung des zweifelsfreien, vollständigen und unwie-derbringlichen Ausfalls der Hirnfunktionen erforderlichen Diagnosen als eine – in jeweils einem Protokoll zu bescheinigende – Einheit an. Daher enthält der Arti-kel auch nach seinem Gesamtzusammenhang nicht die ihm von dem Beru-fungsgericht entnommene Aussage, es habe sich nur ein Arzt mit dem Ausfall der Hirnfunktionen des Betroffenen befasst, sondern lediglich die Behauptung, dass eines von zwei erforderlichen Protokollen gefehlt habe.
cc) Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die weitere angegriffene Äuße-rung, der Verdacht habe nahegelegen, dass die zweite Diagnostik schlicht ver-gessen worden sei.
(1) Diese enthält nun (erstmals) die Behauptung, dass die erforderliche Feststellung des Hirntodes durch einen zweiten Mediziner nicht nur bei der Or-ganentnahme nicht schriftlich dokumentiert vorgelegen, sondern (gar) nicht
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stattgefunden habe, nämlich vergessen worden sei. Das wird nicht als gesichert wahr dargestellt, sondern nach dem Wortlaut des Artikels zunächst lediglich als mögliche Annahme des vor Ort zuständigen Mitarbeiters der Klägerin, des Zeu-gen N., geschildert. Nach dem Gesamtzusammenhang, in den diese Äußerung gestellt ist, lässt sich dem Artikel ferner weitergehend die Darstellung des Ver-dachts entnehmen, dass die erforderliche Feststellung des Hirntodes durch ei-nen zweiten Mediziner (gar) nicht erfolgt sei. Das ergibt sich insbesondere aus dem Hinweis, dass der eingesetzten Überwachungskommission eine wider-spruchsfreie Klärung der Sache nicht möglich gewesen sei, aber auch daraus, dass der Verdachtsdarstellung durch die in dem Artikel enthaltenen Zitate aus dem in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren der Zeugin H. eingereichten Schrift-satz der Klägerin sowie aus dem von der Beklagten zu 2 mit Prof. Dr. K. geführ-ten Telefonat die andere Darstellung der Klägerin gegenübergestellt wird; näm-lich, das (zweite) Protokoll habe nach Kenntnis der Beteiligten zunächst vorge-legen, sei aber vor der Organentnahme nicht mehr auffindbar gewesen.
(2) Wenn den vorherigen Äußerungen (das „komplette zweite ärztliche Protokoll“ habe gefehlt, „jenes Dokument also, das hätte bestätigen müssen, dass (…) der zweifelsfreie, vollständige und unwiederbringliche Ausfall sämtli-cher Hirnfunktionen nicht bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden war“) aber die ihnen vom Berufungsgericht beigelegte Bedeutung zukäme, müsste sich die Bedeutung der Verdachtsaussage darin erschöpfen, welchen Grund das be-hauptete Versäumnis gehabt habe („vergessen“). Das wiederum liegt nach dem dargestellten Gesamtzusammenhang fern.
c) Ferner zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Äußerungen zudem den Aussagegehalt entnommen, es habe lediglich eine Erstuntersuchung, aber keine Verlaufsuntersuchung durch einen Arzt stattgefunden.
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Was die Beklagte zu 2 unter dem „kompletten zweiten ärztlichen Proto-koll“ versteht, wird unmittelbar nach der angegriffenen Aussage erläutert. Die-sen Darlegungen ist – wie bereits ausgeführt – zweifelsfrei zu entnehmen, dass die schriftlich niedergelegte Diagnose eines zweiten Mediziners gemeint ist, nicht dagegen ein etwaig nicht erfolgter Irreversibilitätsnachweis im Rahmen der Diagnose des ersten Arztes. Die Annahme des Berufungsgerichts, ihnen könne auch der Aussagegehalt entnommen werden, dass nur ein Arzt (lediglich) eine Erstuntersuchung durchgeführt habe, ist schon wegen des Wortlauts der For-mulierung („der zweifelsfreie, vollständige und unwiederbringliche Ausfall sämt-licher Hirnfunktionen“) fernliegend. Ihr wird der unbefangene Leser, der – wie oben dargelegt – nicht zwischen Erst- und Verlaufsuntersuchung zu unterschei-den vermag, jedenfalls entnehmen, dass sich ein Mediziner von dem irreversib-len Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen überzeugt habe. Im Hinblick auf die beiden vorhergehenden Aussagen wird er entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schließlich auch die dritte Äußerung zwanglos so verstehen, dass mit der dort genannten „zweiten Diagnostik“ die Diagnose eines zweiten Arztes gemeint ist.
2. Durch die Äußerungen mit dem Aussagegehalt, bei der Organentnah-me habe eine der beiden erforderlichen abschließenden Diagnosen nicht in der erforderlichen Dokumentationsform – Schriftform – vorgelegen („es fehlte das komplette zweite ärztliche Protokoll“), der Verdacht liege nahe, dass die zweite Diagnostik schlicht vergessen worden sei, sowie die Klägerin habe auf ein Ver-langen nach Klärung durch eine Mitarbeiterin mit deren fristloser Kündigung reagiert, ist die Klägerin in ihrem sozialen Geltungsanspruch betroffen. Diese Aussagen sind auch geeignet, sie in ihrer Funktion zu beeinträchtigen, § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 2 BGB, §§ 185 ff. StGB (vgl. Senatsurteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 28 ff.). Weitere den sozialen Geltungsanspruch der Klägerin beeinträchtigende Aussagen sind den angegrif-fenen Äußerungen indes nicht zu entnehmen.
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a) Die Klägerin ist eine von einem gemeinnützigen Verein gegründete gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts gemäß §§ 80 ff. BGB (BT-Drucks. 13/4355, S. 10; Lang in Höfling, Transplantationsgesetz, 2. Aufl., § 11 Rn. 5, Fn. 15, Rn. 7 Fn. 18). Sie war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des streitge-genständlichen Artikels aufgrund eines mit den Spitzenverbänden der Kranken-kassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen und am 16. Juli 2000 in Kraft getretenen privatrechtlichen Ver-trags als Koordinierungsstelle gemäß § 11 Abs. 1 TPG tätig (BT-Drucks. 13/4355, S. 23; Lang, aaO, § 11 Rn. 5; Rosenberg, Die postmortale Organ-transplantation, 2008, S. 49 f.; vgl. auch Ruppel, NZS 2012, 734, 735 f.; zur Rechtslage gemäß § 11 TPG in der ab dem 1. August 2012 geltenden Fassung vgl. Middel/Scholz in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., TPG § 11 Rn. 2; Otto, Jura 2012, 745, 747 f.; Weyd, Jura 2013, 437, 442).
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TPG ist die Entnahme von Organen verstor-bener Spender einschließlich der Vorbereitung der Entnahme, Vermittlung und Übertragung gemeinschaftliche Aufgabe der Transplantationszentren und der Entnahmekrankenhäuser in regionaler Zusammenarbeit. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsaufgabe zugunsten aller Patienten auf der bundeseinheitli-chen Warteliste. Die Organisation dieser Gemeinschaftsaufgabe ist der Klägerin als Auftragnehmerin durch den Vertrag vom 16. Juli 2000 übertragen und darin näher ausgestaltet worden, § 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 TPG (Middel/Scholz, aaO, Rn. 3 f.).
b) Es kann dahinstehen, ob der Klägerin ein Anspruch auf den – einer ju-ristischen Person des Privatrechts zustehenden – Persönlichkeitsschutz gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG zugebilligt werden könnte; zur Beantwortung dieser Frage wäre zu-nächst zu klären, ob und inwieweit die Klägerin öffentliche Aufgaben wahrnimmt
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(vgl. BVerfGE 68, 193, 205 ff. – Zahntechnikerinnung; BVerfG, NJW 1987, 2501, 2502 – Technischer Überwachungsverein; NJW 1996, 584 – gemeinnützige Baugenossenschaft; BVerfGE 106, 28, 42 ff. – Mithörvorrichtung mwN; Rem-mert in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 42 ff., Stand September 2015). Denn jedenfalls genießt die Klägerin strafrechtlichen Ehrenschutz, der über §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 185 ff. StGB zivilrechtliche Un-terlassungsansprüche begründen kann, wenn und soweit ihr sozialer Geltungs-anspruch in ihrem Aufgabenbereich betroffen ist (Senatsurteile vom 18. Mai 1971 – VI ZR 220/69, NJW 1971, 1655 – Sabotage; vom 18. Juni 1974 – VI ZR 16/73, VersR 1974, 1084 – Deutschland-Stiftung; vom 8. Juli 1980 – VI ZR 177/78, BGHZ 78, 24, 25 f. – Das Medizin Syndikat I; vgl. auch Senatsurteile vom 22. Juni 1982 – VI ZR 251/80, VersR 1982, 904 unter II 1; 22. April 2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 27 ff.).
c) So liegt es hier hinsichtlich der Aussagen, die Klägerin habe im Fall des betroffenen Organspenders entgegen ihrer aus § 11 Abs. 4 Satz 4 TPG folgenden Verpflichtung eine gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG unzulässige Organ-entnahme zugelassen, weil dabei keine durch einen zweiten Mediziner erfolgte schriftliche Feststellung des Hirntodes vorgelegen habe, sowie, es bestehe der Verdacht, dass diese zweite Diagnostik vergessen worden sei, sowie, die Klä-gerin habe auf das Klärungsverlangen einer Mitarbeiterin mit einer fristlosen Kündigung reagiert. Diese Äußerungen beeinträchtigen das Ansehen und den sozialen Geltungsanspruch der Klägerin. Sie sind zudem aufgrund des hohen Stellenwerts, der dem Vertrauen der Bevölkerung in die Einhaltung der ethi-schen Grundsätze und rechtlichen Regelungen sowie der Qualitäts- und Si-cherheitsstandards in diesem Bereich der ärztlichen und pflegerischen Versor-gung zukommt (vgl. BT-Drucks. 13/4355, S. 10; Stellungnahme des deutschen Ethikrates, Hirntod und Entscheidung zur Organspende vom 24. Februar 2015,
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S. 152), auch geeignet, das Vertrauen in die Arbeit der Klägerin und deren Funktionsfähigkeit zu gefährden.
d) Dagegen haben die Beklagten bei korrekter Ermittlung des Aussage-gehalts ihrer Äußerungen die Aussage, der Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen sei bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden, in Bezug auf den Betroffenen und die streitgegenständliche Organentnahme (gar) nicht getätigt, so dass sie auch nicht verboten werden kann (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 1980 – VI ZR 177/78, GRUR 1980, 1090, 1094, insoweit in BGHZ 78, 24 ff. nicht abgedruckt; vom 27. Mai 2014 – VI ZR 153/13, NJW 2014, 3154 Rn. 14).
Auch hinsichtlich der Aussage, wonach die Kündigung durch einen Boten um Mitternacht zugestellt worden sein soll, ist die Klägerin nicht in ihrem sozia-len Geltungsanspruch betroffen. Da nicht geschildert wird, unter welchen weite-ren Umständen die behauptete Zustellung erfolgt sein soll, lässt die Äußerung keinen hinreichend bestimmten Schluss auf ein irgendwie geartetes rechtswid-riges oder ansehenswidriges Verhalten der Klägerin zu, der sie in ihrem sozia-len Geltungsanspruch berühren könnte.
3. Die beanstandete Äußerung „es fehlte das komplette zweite ärztliche Protokoll“ war nicht rechtswidrig, §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB, §§ 185 ff., 193 StGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG. Bei dieser Aussage handelt es sich um eine wahre Tatsachenbehauptung, an deren Unterlassung ein anerken-nenswertes Interesse der Klägerin nicht erkennbar ist.
a) Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil ein-zustufen ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen ist. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich
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Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (Senatsurteile vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 17 mwN; vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 Rn. 8; vom 19. Januar 2016 – VI ZR 302/15, WM 2016, 405 Rn. 16).
b) Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der Aussage „es fehlte das komplette zweite ärztliche Protokoll“ um eine Tatsachenbehauptung. Was die Beklagte zu 2 unter dem „kompletten zweiten ärztlichen Protokoll“ versteht, wird – wie oben ausgeführt – unmittelbar nach der angegriffenen Aussage erläu-tert. Der unbefangene Durchschnittsleser muss diese Darlegungen so verste-hen, dass damit die schriftlich dokumentierte Feststellung des Hirntodes des Betroffenen durch einen zweiten Mediziner gemeint ist, ohne dass er sich auf der Grundlage des Artikels Vorstellungen dazu machen könnte, welche Voraus-setzungen für diese abschließende Diagnose im Einzelnen erfüllt sein müssen.
c) Dass indes dieses Dokument bei der Organentnahme nicht vorlag, ist zwischen den Parteien unstreitig und von dem Berufungsgericht festgestellt. Die Tatsachenbehauptung ist wahr, so dass schon der Tatbestand des § 186 StGB nicht erfüllt sein dürfte. Jedenfalls ist ein anerkennenswertes Interesse der Klä-gerin an der Unterlassung wahrer Äußerungen im Hinblick auf die Kontrollfunk-tion der Presse und das erhebliche öffentliche Interesse an der Einhaltung der rechtlichen Regelungen sowie der Qualitäts- und Sicherheitsstandards im Be-reich der Transplantationsmedizin nicht erkennbar und wird von ihr auch nicht geltend gemacht.
4. Die Aussage, es bestehe der Verdacht, dass die zweite Diagnostik vergessen worden sei, stellt eine Verdachtsbehauptung mit Meinungsbezug
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dar, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt. Die damit nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung vorzunehmende Abwägung (§ 193 StGB, Art. 5 Abs. 1 GG), die der Senat nach Lage des Falles selbst vornehmen kann, geht für den maßgeblichen Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels zu Lasten der Klägerin aus. Damit besteht keine für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr.
a) Wie ausgeführt, enthält der Artikel die Darstellung des Verdachts, dass die erforderliche Feststellung des Hirntodes durch einen zweiten Medizi-ner nicht nur bei der Organentnahme nicht schriftlich vorgelegen, sondern (gar) nicht stattgefunden habe. Hierin erschöpft sich die Aussage aber nicht. Sie stellt ferner eine Vermutung zu dem Grund für das mögliche Versäumnis an. Insoweit handelt es sich um eine Meinungsäußerung, weil diese Vermutung entschei-dend durch das Element des Dafürhaltens und Meinens geprägt ist und eine subjektive Wertung enthält, wie es zu dem behaupteten Versäumnis gekommen sein könnte (vgl. Senatsurteil vom 25. November 2003 – VI ZR 226/02, VersR 2004, 343, 344 f.).
Zwar hat das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus folgerich-tig – keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine (zweite) schriftliche abschlie-ßende Diagnose des Hirntodes des Betroffenen ursprünglich vorgelegen hat und der die fragliche Organspende betreuende Mitarbeiter, der Zeuge N., diese – wie die Klägerin behauptet – zuvor gesehen hat. Es hat sich auch nicht mit der Frage befasst, ob die Beklagte zu 2 ihre Pflicht zur sorgfältigen Recherche er-füllt hat. Soweit es lediglich um die Frage der Rechtmäßigkeit der damaligen Berichterstattung geht, kann der Senat die gebotene Abwägung aber selbst vornehmen, weil hierzu weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind.
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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats und des Bundesver-fassungsgerichts darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt un-geklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Re-cherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfäl-tigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklä-rungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Pri-vatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grund-rechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt (Se-natsurteil vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 15 mwN).
Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlich-keitswert“ verleihen. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzu-treffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Hand-lung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stel-lungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein In-formationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (Senatsurteil vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 16 mwN).
bb) Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels vor. Die seinerzeitige Verdachtsberichterstattung war durch die
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Wahrnehmung berechtigter Informationsinteressen der Öffentlichkeit gerechtfer-tigt.
(1) Ob die (Tatsachen-)Behauptung, eine abschließende Diagnose des Hirntodes des Betroffenen durch einen zweiten Mediziner habe bei der Organ-entnahme (gar) nicht vorgelegen, wahr oder falsch ist, war (und ist nach wie vor) ungeklärt. Nachdem dies nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ausweislich des Berichts und der Stellungnahme der zur Klärung eingesetzten Überwachungskommission gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 TPG vom 22. Februar 2010 letztlich nicht aufgeklärt werden konnte, bestand ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprachen.
(2) Die Beklagte zu 2 hat die Behauptung, die abschließende Diagnose eines zweiten Mediziners habe (gar) nicht vorgelegen, in ihrem Artikel nicht als wahr hingestellt. Sie hat dazu einen Verdacht geäußert, nachdem sie ausweis-lich des Artikels dem Medizinischen Vorstand der Klägerin Prof. Dr. K. Gele-genheit zur Stellungnahme gegeben hatte. Sie hat ferner auch die Position der Klägerin – es habe eine schriftliche Diagnose eines zweiten Mediziners gege-ben, das Schriftstück habe aber nicht mehr aufgefunden werden können – wie-dergegeben.
(3) Der Gegenstand des Berichts war von erheblichem öffentlichem Inte-resse und ist in Wahrnehmung der originären Aufgabe der Beklagten, der Kon-trollfunktion der Presse, erfolgt. Dabei kommt es auch hier nicht darauf an, wel-chen Charakter die von der Klägerin wahrgenommenen Aufgaben zum maß-geblichen Zeitpunkt im Einzelnen hatten. Angesichts der im Bereich der Trans-plantationsmedizin betroffenen Rechtsgüter und des hohen Stellenwerts, der – wie ausgeführt – dem Vertrauen der Bevölkerung in die Einhaltung der gesetz-lichen Regelungen und sonstigen Standards zukommt, bedarf die Presse bei
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der Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion insoweit des besonderen Schutzes. Dies gilt umso mehr, als sich der Artikel anlässlich der zum damaligen Zeitpunkt geplanten Reform des Transplantationsgesetzes im Wesentlichen mit der Frage beschäftigt, ob die zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Möglichkeiten der Kontrolle im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung durch die Klägerin ausreichend waren.
b) Vor diesem Hintergrund rügt die Revision im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr zu Unrecht be-jaht hat. Denn mangels Rechtswidrigkeit der Erstveröffentlichung besteht ent-gegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281 unter II 1 b).
Auch eine Erstbegehungsgefahr, die eine – vom Kläger darzulegende – Anspruchsvoraussetzung für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ist (vgl. Senatsurteil vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681 Rn. 34 mwN) – ist nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Be-klagten im Internet einen ergänzenden Bericht veröffentlicht haben, der die streitgegenständliche Äußerung nicht mehr enthält. Eine drohende Verlet-zungshandlung, die sich in tatsächlicher Hinsicht so konkret abzeichnen müss-te, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten mög-lich wäre (vgl. Senatsurteil vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681 Rn. 34 mwN), ist vor diesem Hintergrund weder dargelegt noch ersichtlich.
Da es schon an der Erstbegehungsgefahr fehlt, bedarf es im vorliegen-den Verfahren keiner Klärung, ob – was zwischen den Parteien streitig ist – eine (zweite) schriftliche abschließende Diagnose des Hirntodes des Betroffenen ursprünglich vorgelegen hat, der geäußerte Verdacht mithin falsch ist und aus
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diesem Grund die weitere Voraussetzung für den geltend gemachten Unterlas-sungsanspruch – ein bevorstehender widerrechtlicher Eingriff in das durch § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB geschützte Ansehen der Klägerin – gegeben wäre.
5. Die Aussage, die Klägerin habe auf ein Verlangen nach Klärung durch eine Mitarbeiterin mit deren fristlosen Kündigung reagiert, ist als Meinungsäu-ßerung zu qualifizieren, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt. Die damit gebotene Abwägung (§ 193 StGB, Art. 5 Abs. 1 GG), die der Senat nach Lage des Falles selbst vornehmen kann, geht zu Lasten der Klägerin aus.
a) Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil ein-zustufen ist, ist – wie ausgeführt – eine Rechtsfrage, die vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen ist. Die Überprüfung einer Aussage auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises scheidet bei Werturteilen und Meinungs-äußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Da-fürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder nicht wahr erweisen lassen. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinung sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesent-lich verkürzt werden (Senatsurteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 Rn. 8 mwN).
So liegt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, das die Äuße-rung zu Unrecht als Tatsachenbehauptung angesehen hat, hier. Die Aussage
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(„Wie weit K.s Macht reicht, macht der weitere Verlauf des Düsseldorfer Hirn-tod-Dramas deutlich: Eine Mitarbeiterin aus dem nordrhein-westfälischen DSO-Team, die sich für eine Klärung des Falls starkgemacht hatte, bekam die fristlo-se Kündigung zugestellt“) ist entscheidend durch das Element des Dafürhaltens und Meinens geprägt. Zwar weist sie auch tatsächliche Elemente auf, nämlich, die Zeugin H. habe eine fristlose Kündigung erhalten, die im Zusammenhang mit ihrem Aufklärungsverlangen erfolgt sei. Darin erschöpft sich die Aussage aber nicht. Sie bringt nach dem Gesamtzusammenhang des Artikels in erster Linie eine Missbilligung des Verhaltens der Klägerin in Bezug auf das Vorgehen gegenüber der Zeugin zum Ausdruck („die geschasste Mitarbeiterin“, „die [Klä-gerin] beendete den Fall auf ihre Art – mit Kündigung und einem arbeitsrechtli-chen Prozess …“). Sie enthält damit nach dem Verständnis eines durchschnitt-lichen Lesers nicht – wie das Berufungsgericht meint – eine dem Beweis zu-gängliche Tatsachenbehauptung zu den im Kündigungsschreiben genannten Gründen, auf die die Kündigung gestützt worden ist, sondern eine subjektive Wertung in Bezug auf die hinter der Kündigung stehende Motivation der für die Klägerin handelnden Personen.
b) Die danach gebotene Abwägung, die der Senat selbst vornehmen kann, weil weitere Feststellungen dazu nicht erforderlich sind, geht zu Lasten der Klägerin aus (§ 193 StGB, Art. 5 Abs. 1 GG).
aa) Bei Äußerungen, in denen sich – wie hier – wertende und tatsächliche Elemente in der Weise vermengen, dass die Äußerung insgesamt als Werturteil anzusehen ist, fällt bei der Abwägung maßgeblich der Wahrheitsgehalt der tat-sächlichen Bestandteile ins Gewicht (Senatsurteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 Rn. 21; BVerfG, NJW 1993, 1845, 1846; NJW 2013, 217, 218). Enthält die Meinungsäußerung einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern, so tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit
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regelmäßig hinter die Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zu-rück. Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse. Wahre Tatsachenbehaup-tungen müssen dagegen in der Regel hingenommen werden (Senatsurteil, ebenda).
bb) So liegt es hier. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts trifft es zu, dass der Zeugin H. von der Klägerin fristlos gekündigt worden ist. Die Kündigung ist nach dem eigenen Vortrag der Klägerin damit begründet worden, die Zeugin habe Dritten gegenüber behauptet, es seien mit Zustimmung einer benannten Ärztin „Lebenden“ Organe entnommen worden. Damit ist der Tatsa-chenkern der Meinungsäußerung wahr. Der Zeugin H. ist fristlos gekündigt worden und die Kündigung stand im Zusammenhang mit einer Äußerung der Zeugin zu dem fraglichen Vorgang. An der Äußerung der Schlussfolgerungen und Wertungen, die die Beklagten aus diesem Sachverhalt in Bezug auf die Frage ableiten, mit welcher Motivation die Kündigung erfolgte und ob sie be-rechtigt war, besteht indes unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit ein schützenswertes Interesse, Art. 5 Abs. 1 GG. Insoweit sind sowohl die Klägerin als auch die Zeugin und die Beklagten jeweils zu ihren eigenen und gegebe-nenfalls voneinander abweichenden Wertungen berechtigt. Wie bereits ausge-führt, fällt dabei zugunsten der Beklagten maßgeblich ins Gewicht, dass der Gegenstand ihres Berichts von erheblichem öffentlichem Interesse war und in Wahrnehmung ihrer originären Aufgabe, der Kontrollfunktion der Presse, erfolgt ist. Diese würde aber im Kern betroffen, wenn ihr eine eigene Wertung der ge-nannten Vorgänge versagt würde.
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6. Der Senat kann nach alledem in der Sache selbst entscheiden, da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, § 563 Abs. 3 ZPO.