Bundesdatenschutzbeauftragter: Quick Freeze-Verfahren statt Vorratsdatenspeicherung
Der Bundesdatenschutzbeauftragte:
Seit dem 2. März 2010, als das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur anlasslosen Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten für verfassungswidrig erklärte, tobt ein erbitterter Streit darüber, wie dieses Urteil zu interpretieren ist und welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben. Bei der auf sechs Monate ausgelegten Vorratsdatenspeicherung werden ganz überwiegend Daten von unschuldigen Bürgern gespeichert. Aus ihnen lässt sich ein nahezu vollständiges Profil von Kommunikationsbeziehungen der gesamten Bevölkerung gewinnen.
Während die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, unter ihnen der Bundesinnenminister und Vertreter von Sicherheitsbehörden, die unverzügliche Vorlage eines neuen Gesetzes fordern, lehnen deren Gegner derartige Aktivitäten mit der Begründung ab, dass die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung derzeit in Brüssel überprüft werde und nicht absehbar sei, wann und mit welchem Ergebnis diese Evaluation ausgehe.
Die Debatte wurde kürzlich durch ein Papier aus dem Bundeskriminalamt befeuert, das an die Presse durchgesickert ist. Dieses Papier soll belegen, dass Straftaten nicht oder nur unvollständig oder zumindest unter sehr erschwerten Bedingungen aufgeklärt werden können, da bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten keinerlei Verkehrsdaten vorhanden seien, wenn eine Anfrage der Strafverfolger erfolgt.
Dabei wird allerdings ausgeblendet, dass nach wie vor Telekommunikationsdaten bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten vorhanden sind, jedenfalls bei sämtlichen Diensten, die nicht pauschal als Flatrate, abgerechnet werden. Gleichwohl erscheint es mir plausibel, dass bestimmte Straftaten, insbesondere solche, die ausschließlich über das Internet begangen werden, nur schwer aufzuklären sind, wenn die Zuordnung von dynamischen IP-Adressen zu Verursachern nicht möglich ist.
Angesichts der festgefahrenen Diskussionsfronten ist es an der Zeit, endlich ernsthaft über Alternativen nachzudenken, die einerseits weniger tief in die Grundrechte eingreifen und die andererseits verwertbare Ermittlungsansätze für die Verfolgung der Internetkriminalität ermöglichen.
Schon seit langem ist als Alternative das so genannte Quick Freeze-Verfahren im Gespräch, das sich in anderen Staaten, etwa in den USA, seit Jahren bewährt hat. Dabei handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren um Telekommunikationsdaten zu sichern, die für die Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr erforderlich sind.
In der ersten Stufe werden die Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, bestimmte, in der Anordnung näher benannte Verkehrsdaten nicht zu löschen. Dies können etwa die Daten eines Netzknotens, von dem aus Hacker-Angriffe erfolgt sind, oder Daten einer bestimmten Person, die einer Straftat verdächtig ist, sein. Innerhalb einer vorgegebenen Frist (in den USA handelt es sich dabei um einen Monat, wobei die Frist auf Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden kann) müssen die Ermittlungsbehörden den Nachweis erbringen, dass ihnen die vorgehaltenen Daten nach den gesetzlichen Vorgaben in einem Ermittlungsverfahren übermittelt werden müssen. Diese Auskunft bedarf einer richterlichen Genehmigung. Sofern innerhalb der Frist keine entsprechende Anordnung ergeht, sind die Daten zu löschen.
Quick Freeze ist im Übrigen auch in der sogenannte Cybercrime-Konvention vorgesehen. Von der Umsetzung der entsprechenden Vorgabe in der deutschen Strafprozessordnung wurde seinerzeit in Deutschland abgesehen, als der Bundestag das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen hatte.
Gegen Quick Freeze wird eingewandt, dass insbesondere bei Flatrate-Verträgen überhaupt keine Daten aufgezeichnet werden, die eingefroren werden könnten. Dieses Argument ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Insofern halte ich es für durchaus sinnvoll darüber nachzudenken, ob nicht eine auf wenige Tage beschränkte Speicherungsverpflichtung für Verkehrsdaten eingeführt und das Quick Freeze-Verfahren auf diese Weise als zugleich effektive und grundrechtsschonende Alternative zur Vorratsdatenspeicherung realisiert werden sollte.
Ich halte es für unangemessen und voreilig, das Quick Freeze-Verfahren als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung von vorneherein auszuschließen, wie dies Vertreter von Sicherheitsbehörden derzeit tun. Mir leuchtet insbesondere nicht ein, wieso ein vergleichbares Verfahren, das sich bei der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen bewährt hat, bei der Strafverfolgung nicht funktionieren soll. Insbesondere erscheint es mir als wenig plausibel, dass Strafverfolgungsbehörden so viel länger brauchen als die Film- und Musikbranche, entsprechende Daten auszuwerten.
Deshalb rege ich die Erprobung von Quick Freeze in der Praxis an. Wer derartige Alternativen generell ausschließt und stattdessen auf Maximalforderungen beharrt, ist letztlich mitverantwortlich dafür, dass Straftaten nicht aufgeklärt werden. Abschließend sei daran erinnert, dass der derzeitige Zustand nicht zuletzt deshalb eingetreten ist, weil bei der Gesetzgebung im Jahr 2006 die bereits im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht ernst genommen worden sind. Spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung müsste eigentlich allen klar geworden sein, dass überzogene Forderungen nach mehr Überwachung letztlich selbst zu dem Risiko beitragen, dass erforderliche Strafverfolgungsmaßnahmen auf zusätzliche Schwierigkeiten stoßen.