EuGH C‑48/09 P – Lego: Ehemals patentierte Formen scheiden als Form- oder 3D-Marke aus

Die einmal patentierte Form eines Legosteins sei im Lichte des Patents technisch bedingt und daher verbliebe kein Raum für Markenschutz. Dies erscheint nicht in jeder Hinsicht konsequent: Grundsätzlich bedingt Patentschutz so völlig andere Voraussetzungen als Markenschutz, dass an sich unabhängig von der Frage des Patentschutzes zu klären gewesen wäre, ob die Markenfunktionen durch die Legoform erfüllt sind. Dies dürfte bejaht werden können.

Hier das Urteil:

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. September 2010(*)

„Rechtsmittel – Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Gemeinschaftsmarke – Eignung der Form einer Ware zur Eintragung als Marke – Eintragung eines dreidimensionalen Zeichens, das aus der Oberseite und zwei Seiten eines Lego-Steins besteht – Nichtigerklärung dieser Eintragung auf Antrag eines Unternehmens, das Spielbausteine gleicher Form und Abmessungen vertreibt – Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 – Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist“

In der Rechtssache C‑48/09 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 29. Januar 2009,

Lego Juris A/S mit Sitz in Billund (Dänemark), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin V. von Bomhard und Rechtsanwalt T. Dolde,

Rechtsmittelführerin,

andere Verfahrensbeteiligte:

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch D. Botis als Bevollmächtigten,

Beklagter im ersten Rechtszug,

Mega Brands Inc. mit Sitz in Montreal (Kanada), Prozessbevollmächtigte: P. Cappuyns und C. De Meyer, advocaten,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin P. Lindh sowie der Richter G. Arestis, A. Borg Barthet, M. Ilešič (Berichterstatter), J. Malenovský, L. Bay Larsen, T. von Danwitz und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: zunächst D. Ruiz-Jarabo Colomer, sodann P. Mengozzi,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2009,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Januar 2010

folgendes

Urteil

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Lego Juris A/S die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 12. November 2008, Lego Juris/HABM – Mega Brands (Roter Lego-Stein) (T‑270/06, Slg. 2008, II‑3117, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Großen Kammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 10. Juli 2006 (Sache R 856/2004‑G, im Folgenden: streitige Entscheidung) zu einem Nichtigkeitsantrag abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2 Art. 4 („Markenformen“) der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) lautet:

„Gemeinschaftsmarken können alle Zeichen sein, die sich grafisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“

3 Art. 7 („Absolute Eintragungshindernisse“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1)      Von der Eintragung ausgeschlossen sind

a)      Zeichen, die nicht unter Artikel 4 fallen,

b)      Marken, die keine Unterscheidungskraft haben,

c)      Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können,

d)      Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben zur Bezeichnung der Ware oder Dienstleistung bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich geworden sind,

e)      Zeichen, die ausschließlich bestehen

i)      aus der Form, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist, oder

ii)      aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, oder

iii)      aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht,

f)      Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen,

(3) Die Vorschriften des Absatzes 1 Buchstaben b), c) und d) finden keine Anwendung, wenn die Marke für die Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat.“

4 Art. 9 („Recht aus der Gemeinschaftsmarke“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 sieht vor:

„Die Gemeinschaftsmarke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

a)      ein mit der Gemeinschaftsmarke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;

b)      ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Gemeinschaftsmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

c)      ein mit der Gemeinschaftsmarke identisches oder ihr ähnliches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die nicht denen ähnlich sind, für die die Gemeinschaftsmarke eingetragen ist, wenn diese in der Gemeinschaft bekannt ist und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Gemeinschaftsmarke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.“

5 Art. 51 („Absolute Nichtigkeitsgründe“) der Verordnung Nr. 40/94 lautet:

„(1)      Die Gemeinschaftsmarke wird auf Antrag beim [HABM] oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

a)      wenn sie den Vorschriften des … Artikels 7 zuwider eingetragen worden ist;

b)      wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.

(2)      Ist die Gemeinschaftsmarke entgegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b), c) oder d) eingetragen worden, kann sie nicht für nichtig erklärt werden, wenn sie durch Benutzung im Verkehr Unterscheidungskraft für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, erlangt hat.

(3)      Liegt ein Nichtigkeitsgrund nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vor, für die die Gemeinschaftsmarke eingetragen ist, so kann sie nur für diese Waren oder Dienstleistungen für nichtig erklärt werden.“

6 Die Verordnung Nr. 40/94 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1) aufgehoben, die am 13. April 2009 in Kraft trat. Im Ausgangsrechtsstreit findet jedoch in Anbetracht des für den Sachverhalt maßgeblichen Zeitpunkts weiterhin die Verordnung Nr. 40/94 Anwendung.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

7 Am 1. April 1996 meldete die Gesellschaft Kirkbi A/S (im Folgenden: Kirkbi), deren Rechtsnachfolgerin die Rechtsmittelführerin ist, beim HABM eine Gemeinschaftsmarke u. a. für Waren an, die der Beschreibung „Spiele, Spielzeug“ der Klasse 28 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung (im Folgenden: Abkommen von Nizza) entsprachen. Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das nachstehend wiedergegebene dreidimensionale Zeichen in roter Farbe:

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8 Das HABM teilte Kirkbi mit, es beabsichtige, diese Anmeldung zurückzuweisen, weil das fragliche Zeichen zum einen nur eine einfache Form eines Spielbausteins darstelle und daher keine Unterscheidungskraft habe (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94) und zum anderen ausschließlich aus der Form bestehe, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung). Gleichwohl stimmte das HABM einer Anhörung von Kirkbi zu und prüfte von dieser vorgelegte zusätzliche Stellungnahmen und Beweismittel. Auf der Grundlage dieser Elemente gelangte das HABM zu der Schlussfolgerung, dass das Zeichen, dessen Eintragung beantragt worden war, Unterscheidungskraft in der Europäischen Union erlangt habe und nicht ausschließlich aus der Form der Ware bestehe, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei.

9 Aufgrund dieses Prüfungsverfahrens wurde die fragliche Marke am 19. Oktober 1999 eingetragen.

10 Am 21. Oktober 1999 beantragte die Ritvik Holdings Inc. (im Folgenden: Ritvik), deren Rechtsnachfolgerin die Mega Brands Inc. (im Folgenden: Mega Brands) ist, diese Marke nach Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 in Bezug auf zur Klasse 28 des Abkommens von Nizza gehörendes „Bauspielzeug“ für nichtig zu erklären, da ihrer Eintragung die absoluten Eintragungshindernisse des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und e Ziff. ii und iii sowie Buchst. f der Verordnung Nr. 40/94 entgegenstünden.

11 Am 8. Dezember 2000 setzte die Nichtigkeitsabteilung des HABM das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Philips aus, in der am 18. Juni 2002 ein Urteil erging (C-299/99, Slg. 2002, I‑5475), das die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e zweiter Gedankenstrich der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) betraf, dessen Wortlaut dem des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 entspricht. Das Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung wurde am 31. Juli 2002 wiederaufgenommen.

12 Mit Entscheidung vom 30. Juli 2004 erklärte diese die fragliche Marke nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 für „Bauspielzeug“ der Klasse 28 des Abkommens von Nizza für nichtig, da sie ausschließlich aus der Form der Ware bestehe, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei.

13 Am 20. September 2004 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde ein.

14 Die Große Kammer wies diese Beschwerde mit der streitigen Entscheidung als unbegründet zurück, da die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 im vorliegenden Fall erfüllt seien.

15 In Randnr. 33 der streitigen Entscheidung vertrat die Große Kammer zunächst die Auffassung, eine nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 erfolgte Ablehnung könne nicht durch Meinungsumfragen oder Erhebungen widerlegt werden, da das geprüfte Zeichen, wie sich aus Abs. 3 dieses Artikels ergebe, durch den Nachweis einer infolge Benutzung erlangten Unterscheidungskraft keinen nichtfunktionellen Charakter erhalte. In Randnr. 36 der streitigen Entscheidung fügte die Große Kammer hinzu, dass eine Form, deren wesentliche Merkmale eine technische Funktion erfüllten, auch dann unter das Eintragungsverbot falle, wenn sie ein geringfügiges willkürliches Element, wie eine Farbe, aufweise.

16 In Randnr. 37 der streitigen Entscheidung stellte die Große Kammer fest, dass der Lego-Stein „auf seiner Oberseite zwei symmetrisch angeordnete Reihen von jeweils vier flachen zylindrischen [Vorsprüngen] auf[weist]“.

17 Sodann vertrat die Große Kammer in den Randnrn. 39 und 40 der streitigen Entscheidung den Standpunkt, dass zwar der Umstand als solcher, dass ein Zeichen Gegenstand eines Patents gewesen sei oder noch sei, insbesondere bei Erfindungen, deren Form aufgrund vorhandener dekorativer oder willkürlicher Elemente keinen vollkommen funktionellen Charakter habe, der Eintragung als Marke nicht entgegenstehe, dass jedoch mit einem früheren Patent praktisch der unwiderlegbare Beweis erbracht sei, dass die in ihm offenbarten oder beanspruchten Merkmale funktionellen Charakter hätten.

18 Anschließend, in den Randnrn. 41 bis 55 der streitigen Entscheidung, bestätigte die Große Kammer die Beurteilung der Nichtigkeitsabteilung, wonach jedes Element der Form des Lego-Steins und somit dieser Stein insgesamt für die Erzielung einer technischen Wirkung erforderlich sei. Dieses Ergebnis stützte sie auf die Prüfung der früheren Patente der Rechtsmittelführerin durch die Nichtigkeitsabteilung. Nach Ansicht der Großen Kammer waren die ausschlaggebenden Feststellungen dieser Prüfung folgende:

„42      … Der ursprüngliche verklemmbare … Spielzeugbaustein, der Vorgänger des Lego-Steins, wurde von Harry Fisher Page entwickelt und war Gegenstand mehrerer britischer Patentschriften: Nr. 529 580 vom 25. November 1940, Nr. 587 206 vom 17. April 1947, Nr. 633 055 vom 12. Dezember 1949, Nr. 673 857 vom 19. Juli 1950, Nr. 866 557 vom 26. April 1961. Die[se] Patente bezogen sich auf einen Baustein, der die gleichen Abmessungen und … runden [Vorsprünge] … wie der Lego-Stein aufwies …

43      Bezüglich der auf der Oberseite des Lego-Steins befindlichen [Vorsprünge hat die Nichtigkeitsabteilung festgestellt]:

‚In der … Patentschrift Nr. 866 557 … wurde offenbart, dass [die Bausteine] auf der Oberseite … Vorsprünge … aufweisen, die in zwei parallelen Reihen und in Querpaaren angeordnet sind [und] gleiche Abstände in Längs- und Querrichtung aufweisen. Genau auf diese Weise sind die [Vorsprünge] auf der Oberseite [des Lego-Steins] angeordnet: acht [Vorsprünge] in zwei parallelen Reihen und in Querpaaren … Diese [Vorsprünge] haben die Aufgabe, die Verbindung mit der Unterseite gleichartiger Spielzeugbausteine herzustellen, wodurch eine mehrmalige Montage und Demontage ermöglicht wird.‘

44      [Die Nichtigkeitsabteilung hat] ferner festgestellt, dass die gleiche Erfindung, bei der die Oberseite des Lego-Steins mit [Vorsprüngen] versehen ist, bereits in … der … Patentschrift Nr. 587 206 … offenbart worden war …

Die Kammer stellt fest, dass Figur 1 dieses Patents zwei symmetrische Reihen von jeweils vier zylindrischen [Vorsprüngen] auf der Oberfläche des patentierten Bausteins zeigt, der mit dem fraglichen Lego-Stein identisch zu sein scheint, jedoch nicht rot ist …

45      Der Markeninhaber hat gegenüber der Kammer selbst zugegeben, dass die vorstehend genannten Patente die funktionellen Elemente des Lego-Steins beschreiben und die [Vorsprünge] für das Verklemmen der … Bausteine erforderlich sind, die dadurch ihre Funktion erfüllen.

47      Bei den beiden symmetrischen Reihen von jeweils vier zylindrischen [Vorsprüngen] auf der Oberseite des patentierten Bausteins handelt es sich um die ‚bevorzugte Ausführungsform‘ der Erfindung, die in Figur 1 der … Patentschrift Nr. 587 206 … dargestellt ist. Ebenso [hat die Nichtigkeitsabteilung festgestellt], dass die … Patentschrift Nr. 866 557 … darauf hinweist, dass das Muster der zylindrischen … Vorsprünge … die ‚bevorzugte Ausführungsform‘ der Vorsprünge auf der Ober- und Unterseite des Bausteins ist …

51      [Die Nichtigkeitsabteilung hat] ferner festgestellt, dass das Verhältnis [der Höhe der Vorsprünge] zur Wandhöhe des Steins die ‚Kupplungskraft‘ beeinflusst. Ist das Verhältnis zu gering, lassen sich die Steine leichter demontieren … Ist das Verhältnis hingegen zu groß, … ist die für die Demontage der Steine zu überwindende [Kraft] sehr hoch[, und] ein allein spielendes Kind [wäre] in diesem Fall möglicherweise nicht in der Lage …, die Bausteine leicht auseinander zu nehmen.

53      Die Kammer verweist auf die folgende Beschreibung der technischen Funktion der relativen Abmessungen und Positionen der [Vorsprünge] in der … Patentschrift Nr. 866 557:

‚Die relativen Abmessungen und Positionen der [Vorsprünge] sind auf eine spezielle Art und Weise miteinander zu verbinden, und entsprechend dem Hauptmerkmal der Erfindung sind die [Vorsprünge auf der Oberseite des Bausteins] mit gleichmäßigem Abstand voneinander in sowohl Längs- als auch Querrichtung angeordnet … ‘

54      Die [Nichtigkeitsabteilung ist zu der Schlussfolgerung gelangt], dass die einzelnen Merkmale des Lego-Steins alle eine bestimmte technische Funktion erfüllen, nämlich:

–      die [Vorsprünge auf der Oberseite des Bausteins]: Höhe und Durchmesser für die Kupplungskraft, die Anzahl für die Flexibilität bei der Verbauung und die Anordnung für die Verbauungsposition[;]

–      die [Vorsprünge im Innern des Bausteins]: Kupplungskraft; Anzahl für die Gewährleistung der besten Kupplungskraft in allen Positionen …[;]

–      Seiten: Verbindung mit den Seiten anderer Steine zur Herstellung einer Wand[;]

–      Hohleinfassung: Eingreifen in die [Vorsprünge auf der Oberseite des Bausteins] und Befestigung …[;]

–      Gesamtform: Bausteinform für das Bauen, kindgerechte Größe[.]

55      Die Kammer bestätigt die [von der Nichtigkeitsabteilung] getroffenen Feststellungen, da die obigen Beweismittel diese wirksam untermauern. Ferner gelangt die Kammer zu der Feststellung, dass die [Nichtigkeitsabteilung] die Beweismittel in keiner Weise falsch dargestellt oder ausgelegt hat.

62      … [Es] steht … außer Frage, dass das dominierende Merkmal [des Lego-Steins] – die beiden [Reihen Vorsprünge] auf der Oberseite – die Aufgabe hat, eine[n] einfachen Spielzeugbaustein, dessen Abmessungen in Breite, Länge und Tiefe im Verhältnis zu denen eines echten in der Baubranche verwendeten Bausteins stehen, … mit dem … robusten und flexiblen Verblockungsmechanismus zu versehen, den diese Steine haben müssen, wenn ein Kind mit ihnen spielen soll. Die Merkmale des Lego-Steins wurden eindeutig so gewählt, dass der Lego-Stein die vorstehend genannte praktische Funktion erfüllen kann, und nicht [zu Kennzeichnungszwecken].

63      Folglich schließt sich die Kammer in ihrer Wertung … der … Entscheidung [der Nichtigkeitsabteilung] an, dass der Lego-Stein rein funktionellen Charakter hat, da er keine willkürlichen oder dekorativen Elemente enthält. … Somit kann sich die Kammer in Bezug auf den Lego-Stein … auf den Wortlaut des Urteils … Philips berufen, dass nämlich ‚die wesentlichen funktionellen Eigenschaften der Form … nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind‘.“

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

19 Mit Klageschrift, die am 25. September 2006 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.

20 Sie machte einen einzigen Klagegrund geltend, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 rügte. Dieser Klagegrund bestand aus zwei Teilen, deren erster sich auf eine fehlerhafte Auslegung dieser Bestimmung und deren zweiter sich auf eine verfehlte Beurteilung des Schutzgegenstands der fraglichen Marke bezog.

21 Im Rahmen des ersten Teils des Klagegrundes machte die Rechtsmittelführerin geltend, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 ziele seinem Wortlaut nach nicht darauf ab, funktionelle Formen als solche von der Eintragung als Marke auszuschließen. Die entscheidende Frage sei, ob der Markenschutz ein Monopol an technischen Lösungen oder an Gebrauchseigenschaften der fraglichen Form schaffen würde.

22 Nach Ansicht des Gerichts konnte dieses Vorbringen nicht zur Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung führen. Es hat seine Wertung im Wesentlichen wie folgt begründet:

„37      [D]ie Klägerin [wirft] der Großen Kammer im Wesentlichen vor, sie habe die Reichweite des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 und insbesondere die der darin enthaltenen Wörter ‚ausschließlich‘ und ‚erforderlich‘ verkannt, indem sie angenommen habe, dass das Vorhandensein von funktionell gleichwertigen Alternativformen, die die gleiche technische Lösung nutzten, für die Anwendung dieser Vorschrift unerheblich sei.

38      Insoweit ist erstens festzustellen, dass das Wort ‚ausschließlich‘, das sowohl in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 als auch in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e zweiter Gedankenstrich der Richtlinie [89/104] enthalten ist, im Licht des in den Randnrn. 79, 80 und 83 des Urteils Philips verwendeten Ausdrucks ‚wesentliche Merkmale, die einer technischen Funktion entsprechen‘ zu lesen ist. Diesem Ausdruck kann nämlich entnommen werden, dass eine Form durch das Hinzufügen von nicht wesentlichen Merkmalen, die keine technische Funktion haben, diesem absoluten Eintragungshindernis nicht entgeht, wenn alle wesentlichen Merkmale der Form einer technischen Funktion entsprechen. Die Große Kammer hat daher ihre Prüfung der Funktionalität der in Frage stehenden Form zu Recht anhand der Merkmale vorgenommen, die sie als wesentlich betrachtete. Es ist daher festzustellen, dass sie den Ausdruck ‚ausschließlich‘ richtig ausgelegt hat.

39      Zweitens ergibt sich aus den Randnrn. 81 und 83 des Urteils Philips, dass die Formulierung ‚zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich‘, die sowohl in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 als auch in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e zweiter Gedankenstrich der Richtlinie [89/104] enthalten ist, nicht bedeutet, dass dieses absolute Eintragungshindernis nur eingriffe, wenn die fragliche Form die einzige ist, die die Erreichung der betreffenden Wirkung erlaubt. Der Gerichtshof hat nämlich in Randnr. 81 [dieses Urteils] entschieden, dass durch den Umstand, ‚dass es andere Formen gibt, die die gleiche technische Wirkung ermöglichen, das Eintragungshindernis … [nicht] ausgeräumt werden kann‘, und in Randnr. 83 [dieses Urteils], dass ‚ein aus [der …] Form [einer Ware] bestehendes Zeichen von der Eintragung aus[geschlossen ist], selbst wenn die fragliche technische Wirkung durch andere Formen erzielt werden kann‘. Für das Eingreifen dieses absoluten Eintragungshindernisses genügt es also, dass die wesentlichen Merkmale der Form jene Merkmale aufweisen, die für das Erreichen der fraglichen technischen Wirkung technisch kausal und hinreichend sind, so dass sie der technischen Wirkung zuzuschreiben sind. Die Große Kammer hat daher fehlerfrei entschieden, dass das Wort ‚erforderlich‘ bedeutet, dass die Form für die Erreichung dieser technischen Wirkung benötigt wird, selbst wenn diese durch andere Formen erreicht werden kann.

40      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entgegen dem Vorbringen der Klägerin in den Randnrn. 81 und 83 des Urteils Philips die Beachtlichkeit des Vorhandenseins von ‚andere[n] Formen …, die die gleiche technische Wirkung ermöglichen‘, verneint hat, ohne die Formen, die eine andere ‚technische Lösung‘ nutzen, von denen zu unterscheiden, die die gleiche ‚technische Lösung‘ nutzen.

43      Nach alledem steht Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 der Eintragung jeder Form entgegen, die in ihren wesentlichen Merkmalen ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die für das Erreichen der fraglichen technischen Wirkung technisch kausal und hinreichend ist, selbst wenn diese Wirkung durch andere Formen erreicht werden kann, die die gleiche oder eine andere technische Lösung nutzen.

44      Folglich ist festzustellen, dass die Große Kammer Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 nicht fehlerhaft ausgelegt hat.“

23 Im Rahmen des zweiten Teils des zur Stützung ihrer Klage vor dem Gericht geltend gemachten Klagegrundes rügte die Rechtsmittelführerin, die Große Kammer habe die wesentlichen Merkmale der fraglichen Form nicht ordnungsgemäß ermittelt und den funktionellen Charakter dieser Form fehlerhaft beurteilt.

24 Sie trug zum einen vor, die Große Kammer habe irrelevante Elemente, wie diejenige Seite des Lego-Steins, die nicht zum fraglichen dreidimensionalen Zeichen gehöre, nämlich dessen offene Unterseite, in ihre Prüfung einbezogen. Zum anderen habe die Große Kammer ohne kritische Überprüfung das von Mega Brands beigebrachte und bezahlte Gutachten akzeptiert und es zugleich unterlassen, bei der Ermittlung der wesentlichen Merkmale der betreffenden Form die von ihr vorgelegten einschlägigen Daten, wie diejenigen zur Wahrnehmung der genannten Form aus der Sicht der Verbraucher, zu berücksichtigen.

25 Auch dieser zweite Teil ist vom Gericht zurückgewiesen worden. Dieses hat insbesondere festgestellt:

„70      Soweit die Klägerin erstens geltend macht, dass die Ermittlung der wesentlichen Merkmale der fraglichen Form aus der Sicht des Verbrauchers vorzunehmen sei und dass bei der Analyse die Verbraucherumfragen zu berücksichtigen seien, ist darauf hinzuweisen, dass diese Ermittlung im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 mit dem konkreten Ziel vorgenommen wird, die Prüfung der Funktionalität der in Frage stehenden Form zu ermöglichen. Um die Funktionalität der wesentlichen Merkmale einer Form zu untersuchen, ist jedoch die Wahrnehmung des angesprochenen Verbrauchers nicht erheblich. Denn der angesprochene Verbraucher verfügt möglicherweise nicht über die technischen Kenntnisse, die für die Beurteilung der wesentlichen Merkmale einer Form erforderlich sind, so dass aus seiner Sicht bestimmte Merkmale wesentlich sein können, obgleich sie es im Kontext einer Untersuchung der Funktionalität nicht sind, und umgekehrt. Es ist deshalb festzustellen, dass die wesentlichen Merkmale einer Form für die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 in objektiver Weise und auf der Grundlage der grafischen Darstellung und etwaigen Beschreibungen, die bei der Anmeldung eingereicht wurden, bestimmt werden müssen.

72      Zweitens beanstandet die Klägerin [weiter], dass die Große Kammer die Bestimmung der wesentlichen Merkmale der in Frage stehenden Form versäumt und nicht die in Frage stehende Form, sondern den Lego-Stein in seiner Gesamtheit geprüft habe, wobei sie in ihre Analyse die nicht sichtbaren Elemente wie [die offene Unterseite] einbezogen habe.

75      Es ist jedoch festzustellen, dass [die von der Großen Kammer vorgenommene] Prüfung … alle Elemente umfasste, die [auf dem fraglichen Zeichen] sichtbar sind und die [laut Randnr. 54 der streitigen Entscheidung] alle bestimmte technische Funktionen erfüllen … Es ist ebenfalls festzustellen, dass die Akten nichts enthalten, was die zutreffende Bestimmung dieser Merkmale als die wesentlichen Merkmale der fraglichen Form in Frage stellen könnte.

76      Da aber die Große Kammer somit alle wesentlichen Merkmale der fraglichen Form fehlerfrei bestimmt hat, ist der Umstand, dass sie auch andere Merkmale berücksichtigt hat, auf die Rechtmäßigkeit der [streitigen] Entscheidung ohne Einfluss.

78      [Sodann] ist hervorzuheben, dass die Große Kammer im Rahmen der Untersuchung der Funktionalität der auf diese Weise bestimmten wesentlichen Merkmale durch nichts daran gehindert war, auch nicht sichtbare Elemente des Lego-Steins wie [die offene Unterseite] und die sekundären [Vorsprünge] sowie jedes andere relevante Beweiselement zu berücksichtigen. Die Große Kammer hat sich im vorliegenden Fall insoweit auf die früheren Patente der Klägerin, auf deren Angabe, dass diese Patente die funktionellen Elemente des Lego-Steins beschrieben, und auf … Gutachten … gestützt.

79      [Was das von Mega Brands vorgelegte und bezahlte Gutachten angeht,] bestätigen die früheren Patente die Feststellungen [der Verfasser dieses Gutachtens] zur Funktionalität der Merkmale des Lego-Steins …“

Anträge der Verfahrensbeteiligten

26 Die Rechtsmittelführerin beantragt,

–      das angefochtene Urteil aufzuheben;

–       die Sache an das Gericht zurückzuverweisen;

–       dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

27 Das HABM und Mega Brands beantragen,

–      das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–      der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

28 Die Rechtsmittelführerin macht einen einzigen Rechtsmittelgrund geltend, den sie auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 stützt. Dieser Rechtsmittelgrund ist in drei Teile gegliedert.

Zum ersten Teil: irrige Auslegung von Gegenstand und Tragweite des Eintragungshindernisses des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

29 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 verbiete zwar die Eintragung von Formen, deren Schutz als Marke zu einer widerrechtlichen Beschränkung für die Wettbewerber führe, habe jedoch kein Verbot der Eintragung jeglicher Form, die einer technischen Funktion entspreche, zum Gegenstand. Die Eintragung einer Form sei nur dann auszuschließen, wenn sie zur Bildung eines Monopols für technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften führen würde.

30 Hierbei sei der Ausdruck „technische Lösung“ von dem der „technischen Wirkung“ zu unterscheiden, da eine technische Wirkung durch unterschiedliche Lösungen erzielt werden könne. In Fällen, in denen es unter funktionellen Gesichtspunkten mehrere gleichwertige Formen gebe, hindere der einem Unternehmen für eine spezifische Form gewährte Markenschutz nicht die Wettbewerber an der Verwendung derselben technischen Lösung.

31 Das Gericht habe daher einen Rechtsfehler begangen, indem es in Randnr. 43 des angefochtenen Urteils mit der in dessen Randnrn. 37 bis 42 angeführten Begründung festgestellt habe, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 der Eintragung einer Form auch dann entgegenstehe, wenn die technische Wirkung durch eine andere Form erreicht werden könne, die die gleiche technische Lösung nutze. Das Gericht habe verkannt, dass dem Vorhandensein alternativer Formen große Bedeutung zukomme, da es zeige, dass die Gefahr einer Monopolbildung nicht bestehe. Zugleich habe das Gericht den Umstand vernachlässigt, dass ein und dieselbe patentierte Erfindung oftmals durch verschiedene Formen umgesetzt werden könne. Diesem Fall sei auch die vorliegende Rechtssache zuzuordnen, da die Wettbewerber der Rechtsmittelführerin durchaus in der Lage seien, dieselbe technische Lösung zu verwenden, ohne die Form des Lego-Steins nachzuahmen.

32 Außerdem habe das Gericht mit dieser Feststellung die aus dem Urteil Philips zu ziehenden Folgerungen missachtet. In diesem Urteil habe nämlich der Gerichtshof insoweit keineswegs die Ansicht vertreten, dass das Vorhandensein alternativer Formen unerheblich sei. Er habe in den Randnrn. 83 und 84 dieses Urteils lediglich darauf hingewiesen, dass es, nachdem einmal die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 erfüllt seien, irrelevant werde, ob alternative Formen bestünden oder nicht.

33 Mega Brands macht geltend, die Eintragung des fraglichen Zeichens als Marke ermögliche es der Rechtsmittelführerin, einen Wettbewerber daran zu hindern, auf dem Markt der Spielbausteine die günstigste und funktionalste Form zu verwenden. Die Rechtsmittelführerin würde auf diese Weise das Monopol wiedererlangen, das sie früher aufgrund ihrer Patente innegehabt habe.

34 Zwar stelle die bloße Offenlegung einer Form in einem Patent als solche kein Hindernis für eine Markeneintragung dieser Form dar. Jedoch sei eine solche Offenlegung ein deutliches Indiz dafür, dass die betreffende Form ausschließlich durch ihre Funktion bestimmt werde.

35 Nach Ansicht des HABM verstößt das Vorbringen der Klägerin gegen Buchstaben und Geist von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94. Das Vorhandensein der Wörter „ausschließlich“ und „erforderlich“ in dieser Bestimmung bedeute nicht, dass nur die Eintragung derjenigen Formen untersagt sei, die zur Erfüllung der gewünschten Funktion unbedingt erforderlich seien. Das fragliche Eintragungshindernis betreffe alle im Wesentlichen funktionellen Formen, die der Wirkung zuzuschreiben seien.

36 Außerdem wäre, würde dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin gefolgt, der freie Zugang der Wettbewerber zu alternativen Formen nicht gewährleistet. Denn die Eintragung einer spezifischen Form als Marke würde es dann der Rechtsmittelführerin ermöglichen, nicht nur eine identische Form, sondern auch ähnliche Formen verbieten zu lassen. Davon wären z. B. Bausteine mit etwas höheren oder breiteren Vorsprüngen als der Lego-Stein betroffen.

37 Zur Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten von Rechten geistigen Eigentums trägt das HABM vor, das Recht, den Wettbewerb hinsichtlich einer Form zu blockieren, sei außerhalb des Patentrechts insbesondere für die Inhaber eines Geschmacksmusters nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) vorgesehen. Das HABM weist jedoch darauf hin, dass nach Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung „[e]in Gemeinschaftsgeschmacksmuster … nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses [besteht], die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“.

Würdigung durch den Gerichtshof

38 Nach ständiger Rechtsprechung ist das Markenrecht ein wesentlicher Bestandteil des Wettbewerbssystems in der Union. In diesem System muss jedes Unternehmen, um die Kunden durch die Qualität seiner Waren oder seiner Dienstleistungen an sich zu binden, Zeichen als Marken eintragen lassen können, die es dem Verbraucher ermöglichen, diese Waren oder diese Dienstleistungen ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Oktober 2001, Merz & Krell, C‑517/99, Slg. 2001, I‑6959, Randnrn. 21 und 22, vom 12. November 2002, Arsenal Football Club, C‑206/01, Slg. 2002, I‑10273, Randnrn. 47 und 48, sowie vom 26. April 2007, Alcon/HABM, C‑412/05 P, Slg. 2007, I‑3569, Randnrn. 53 und 54).

39 Die Form einer Ware gehört zu den Zeichen, die eine Marke sein können. Das folgt für die Gemeinschaftsmarke aus Art. 4 der Verordnung Nr. 40/94, wonach Gemeinschaftsmarken alle Zeichen sein können, die sich grafisch darstellen lassen, wie Wörter, Abbildungen, die Form der Ware und deren Aufmachung, soweit diese Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, Slg. 2004, I‑5089, Randnrn. 30 und 31).

40 Im vorliegenden Fall hat die Form des Lego-Steins unstreitig infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt; sie stellt daher ein Zeichen dar, das geeignet ist, die Waren der Rechtsmittelführerin von denen anderer Herkunft zu unterscheiden.

41 Die Auffassung von Ritvik – die von deren Rechtsnachfolgerin Mega Brands übernommen und von der Nichtigkeitsabteilung und der Großen Kammer sowie dem Gericht bestätigt worden ist –, dass die Form eines Lego-Steins gleichwohl nicht zur Eintragung als Marke geeignet sei, beruht auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94, wonach Zeichen, die ausschließlich aus der Form der Ware bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, von der Eintragung ausgeschlossen sind.

42 Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin ist diese Bestimmung von der Großen Kammer und danach vom Gericht zu weit und damit fehlerhaft ausgelegt worden.

43 Zur Prüfung dieser Rüge ist darauf hinzuweisen, dass jedes der in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 genannten Eintragungshindernisse im Licht des Allgemeininteresses auszulegen ist, das ihm zugrunde liegt (Urteile Henkel/HABM, Randnr. 45, und vom 12. Januar 2006, Deutsche SiSi-Werke/HABM, C-173/04 P, Slg. 2006, I-551, Randnr. 59). Das Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 zugrunde liegende Interesse besteht darin, zu verhindern, dass einem Unternehmen durch das Markenrecht letztlich ein Monopol für technische Lösungen oder Gebrauchseigenschaften einer Ware eingeräumt wird (vgl. zu Art. 3 Abs. 1 Buchst. e zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 89/104 entsprechend Urteile Philips, Randnr. 78, und vom 8. April 2003, Linde u. a., C‑53/01 bis C‑55/01, Slg. 2003, I‑3161, Randnr. 72).

44 Die vom Gesetzgeber festgelegten Regeln spiegeln insoweit die Abwägung zweier Erwägungen wider, von denen jede geeignet ist, zur Verwirklichung eines gesunden und lauteren Wettbewerbssystems beizutragen.

45 Zum einen wird mit der Aufnahme des Verbots in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94, ein Zeichen als Marke einzutragen, das aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, sichergestellt, dass Unternehmen nicht das Markenrecht in Anspruch nehmen können, um ausschließliche Rechte für technische Lösungen ohne zeitliche Begrenzung auf Dauer festzuschreiben.

46 Besteht nämlich die Form einer Ware nur darin, dass sie die von deren Hersteller entwickelte und auf dessen Antrag patentierte technische Lösung verkörpert, würde ein Schutz dieser Form als Marke nach Ablauf des Patents die Möglichkeit der anderen Unternehmen, diese technische Lösung zu verwenden, auf Dauer erheblich beschränken. Im System der Rechte des geistigen Eigentums, wie es in der Union entwickelt worden ist, sind aber technische Lösungen nur für eine begrenzte Dauer schutzfähig, so dass sie danach von allen Wirtschaftsteilnehmern frei verwendet werden können. Wie das HABM im Rahmen seines in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Vorbringens festgestellt hat, liegt diese Erwägung nicht nur der Richtlinie 89/104 und der Verordnung Nr. 40/94 zum Markenrecht, sondern auch der Verordnung Nr. 6/2002 über Geschmacksmuster zugrunde.

47 Im Übrigen hat der Gesetzgeber die mangelnde Markenfähigkeit von Formen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sind, mit besonderer Strenge festgelegt, da er die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 40/94 aufgeführten Eintragungshindernisse vom Anwendungsbereich der in Art. 3 dieses Artikels vorgesehenen Ausnahme ausgenommen hat. So ergibt sich aus Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung, dass eine Form einer Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, selbst dann nicht als Marke eingetragen werden darf, wenn sie infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat (zu Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 89/104, einer im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung wie Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 40/94, vgl. Urteile Philips, Randnr. 57, und vom 20. September 2007, Benetton Group, C‑371/06, Slg. 2007, I‑7709, Randnrn. 25 bis 27).

48 Außerdem hat der Gesetzgeber mit der Beschränkung des Eintragungshindernisses des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 auf Zeichen, die „ausschließlich“ aus der Form der Ware bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung „erforderlich“ ist, gebührend berücksichtigt, dass jede Form einer Ware in gewissem Maße funktionell ist und es daher unangemessen wäre, eine Warenform nur deshalb von der Eintragung als Marke auszuschließen, weil sie Gebrauchseigenschaften aufweist. Mit den Wörtern „ausschließlich“ und „erforderlich“ stellt diese Bestimmung sicher, dass allein diejenigen Warenformen von der Eintragung ausgeschlossen sind, durch die nur eine technische Lösung verkörpert wird und deren Eintragung als Marke deshalb die Verwendung dieser technischen Lösung durch andere Unternehmen tatsächlich behindern würde.

49 Nachdem somit der Gegenstand und die Tragweite von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 in Erinnerung gerufen und präzisiert worden sind, ist nunmehr zu prüfen, ob das Gericht, wie die Rechtsmittelführerin vorträgt, diese Bestimmung irrig ausgelegt hat.

50 Das Gericht hat die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 in Randnr. 43 des angefochtenen Urteils mit den Worten zusammengefasst, dass diese Bestimmung „der Eintragung jeder Form entgegen[steht], die in ihren wesentlichen Merkmalen ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die für das Erreichen der fraglichen technischen Wirkung technisch kausal und hinreichend ist, selbst wenn diese Wirkung durch andere Formen erreicht werden kann, die die gleiche oder eine andere technische Lösung nutzen“.

51 Die Voraussetzung, dass unter das genannte Eintragungshindernis alle Zeichen fallen, die „ausschließlich“ aus der Form der Ware bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, hat das Gericht in Randnr. 38 des angefochtenen Urteils dann als erfüllt angesehen, wenn alle wesentlichen Merkmale der Form der technischen Funktion entsprächen, während insoweit das Vorhandensein nicht wesentlicher Merkmale ohne technische Funktion unerheblich sei.

52 Diese Auslegung steht mit Randnr. 79 des Urteils Philips in Einklang. Sie spiegelt auch den diesem Urteil zugrunde liegenden Gedanken, wie er von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in Nr. 28 seiner Schlussanträge in jener Rechtssache dargestellt und in Nr. 72 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Koninklijke KPN Nederland (Urteil vom 12. Februar 2004, C‑363/99, Slg. 2004, I‑1619) wiederholt worden ist, wider, dass das Vorhandensein eines oder mehrerer geringfügiger willkürlicher Elemente in einem dreidimensionalen Zeichen, bei dem alle wesentlichen Merkmale durch die technische Lösung bestimmt werden, der dieses Zeichen Ausdruck verleiht, nichts daran ändert, dass das Zeichen ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Soweit die genannte Auslegung weiter impliziert, dass das Eintragungshindernis des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 nur anwendbar ist, wenn alle wesentlichen Merkmale des Zeichens funktionell sind, gewährleistet sie, dass die Eintragung eines solchen Zeichens als Marke nach dieser Bestimmung nicht abgelehnt werden kann, wenn in der Form der betreffenden Ware ein wichtiges nichtfunktionales Element, wie ein dekoratives oder phantasievolles Element, verkörpert wird, das für diese Form von Bedeutung ist.

53 Zur Voraussetzung, dass eine Form einer Ware nur dann nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 von der Markeneintragung ausgeschlossen werden kann, wenn sie zur Erreichung der gewünschten technischen Wirkung „erforderlich“ ist, hat das Gericht in Randnr. 39 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt, dass diese Voraussetzung nicht bedeute, dass die betreffende Form die einzige sein müsse, die die Erreichung dieser Wirkung erlaube.

54 Zwar kann, wie die Rechtsmittelführerin hervorhebt, in bestimmten Fällen ein und dieselbe technische Wirkung durch unterschiedliche Lösungen erzielt werden. So kann es alternative Formen mit anderen Abmessungen oder anderer Gestaltung geben, die dieselbe technische Wirkung ermöglichen.

55 Dieser Umstand hat jedoch entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin als solcher nicht zur Folge, dass eine Eintragung der betreffenden Form als Marke die Verfügbarkeit der in der Form verkörperten technischen Lösung für die übrigen Wirtschaftsteilnehmer unberührt ließe.

56 Dazu ist mit dem HABM festzustellen, dass nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 die Eintragung einer ausschließlich funktionellen Form einer Ware als Marke es deren Inhaber ermöglichen könnte, den anderen Unternehmen die Verwendung nicht nur der gleichen Form, sondern auch ähnlicher Formen zu verbieten. Damit besteht die Gefahr, dass zahlreiche alternative Formen für die Wettbewerber dieses Markeninhabers unbenutzbar werden.

57 Das gilt besonders für den Fall der Kumulierung von Eintragungen verschiedenartiger, ausschließlich funktionaler Formen einer Ware; durch eine solche Kumulierung könnten andere Unternehmen gänzlich daran gehindert werden, bestimmte Waren mit einer bestimmten technischen Funktion herzustellen und zu vertreiben.

58 Diese Erwägungen kommen auch in den Randnrn. 81 und 83 des Urteils Philips zum Ausdruck, wonach durch das Vorhandensein anderer Formen, die die gleiche technische Wirkung ermöglichen, als solches nicht die Anwendung des Eintragungshindernisses des Art. 3 Abs. 1 Buchst. e zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 89/104, dessen Wortlaut dem des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 entspricht, ausgeschlossen wird.

59 Zu dem von der Rechtsmittelführerin weiter angeführten, vom HABM nicht bestrittenen Umstand, dass die Wettbewerber der Rechtsmittelführerin, wollten sie dieselbe technische Lösung nutzen, nicht Spielbausteine in den Verkehr bringen müssten, deren Form und Abmessungen in jeder Hinsicht mit denen des Lego-Steins identisch seien, genügt die Feststellung, dass dieser Umstand nicht der Anwendung der vom Unionsgesetzgeber festgelegten, oben ausgelegten Regeln entgegensteht, wonach ein Zeichen, das aus der Form einer Ware besteht, die ohne Hinzufügung signifikanter nichtfunktioneller Elemente nur eine technische Funktion zum Ausdruck bringt, nicht als Marke eintragungsfähig ist, da durch eine solche Eintragung die Möglichkeiten für die Wettbewerber, Warenformen in den Verkehr zu bringen, in denen dieselbe technische Lösung verkörpert ist, zu stark beschränkt werden.

60 Das gilt erst recht für einen Fall wie den vorliegenden, in dem von der zuständigen Behörde festgestellt wurde, dass die in der geprüften Warenform verkörperte Lösung für die betreffende Warenkategorie die in technischer Hinsicht bevorzugte sei. Wäre das aus einer solchen Form bestehende dreidimensionale Zeichen als Marke eingetragen, wäre es für die Wettbewerber des Inhabers dieser Marke schwierig, Warenformen in den Verkehr zu bringen, die echte Alternativen darstellen, also Formen, die nicht ähnlich und trotzdem für den Verbraucher in funktioneller Hinsicht von Interesse sind.

61 Unter diesen Umständen ist die Situation eines Unternehmens, das eine technische Lösung entwickelt hat, gegenüber Wettbewerbern, die sklavische Nachahmungen der Form der Ware unter Verkörperung genau derselben Lösung in den Verkehr bringen, nicht in der Weise schutzfähig, dass ihm durch Eintragung des aus der genannten Form bestehenden dreidimensionalen Zeichens als Marke ein Monopol eingeräumt wird; diese Situation kann jedoch gegebenenfalls im Licht der Regeln über den unlauteren Wettbewerb geprüft werden. Eine solche Prüfung ist indessen nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

62 Da dem von der Rechtsmittelführerin im Rahmen des ersten Teils ihres Rechtsmittelgrundes geltend gemachten Vorbringen aus allen vorstehend dargelegten Gründen nicht gefolgt werden kann, ist dieser Teil zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil: Anwendung unzutreffender Kriterien für die Ermittlung der wesentlichen Merkmale einer Warenform

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

63 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, der Begriff „wesentliche Merkmale“ sei gleichbedeutend mit dem Begriff „dominierende und unterscheidungskräftige Bestandteile“; diese Merkmale seien aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise, d. h. des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers, zu ermitteln.

64 Jede Prüfung des in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 genannten Eintragungshindernisses müsse unter Berücksichtigung des Urteils Philips zwei Schritte umfassen: erstens die Ermittlung der wesentlichen Merkmale des Zeichens aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers und zweitens die mit Hilfe von Sachverständigen vorzunehmende Prüfung der Frage, ob diese Merkmale zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich seien.

65 Das Gericht habe daher einen Rechtsfehler begangen, indem es in Randnr. 70 des angefochtenen Urteils den Standpunkt der Großen Kammer bestätigt habe, dass bei der Ermittlung der wesentlichen Merkmale eines dreidimensionalen Zeichens nicht die Wahrnehmung des Verbrauchers und Verbraucherumfragen zur Beurteilung dieser Wahrnehmung zu berücksichtigen seien.

66 Nach Ansicht von Mega Brands ist dieser Begriff „wesentliche Merkmale“ im Kontext der Wörter „ausschließlich“ und „erforderlich“ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 zu verstehen. In diesem Rahmen komme es auf die von der Rechtsmittelführerin angeführten Kriterien wie „Unterscheidungskraft“ und „Wahrnehmung durch die Verkehrskreise“ nicht an.

67 Das HABM führt aus, auch wenn anzunehmen sei, dass die Ermittlung der wesentlichen Bestandteile der Form der Beurteilung der Funktionalität dieser Bestandteile vorauszugehen habe, gehörten diese beiden Schritte doch zum selben Vorgang, der in der Prüfung bestehe, ob diese Bestandteile für die Funktion der Form wesentlich seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

68 Eine korrekte Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 setzt voraus, dass die wesentlichen Merkmale des betreffenden dreidimensionalen Zeichens von der Behörde, die über die Markenanmeldung dieses Zeichens zu entscheiden hat, ordnungsgemäß ermittelt werden.

69 Wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ist der Ausdruck „wesentliche Merkmale“ so zu verstehen, dass er sich auf die wichtigsten Merkmale des Zeichens bezieht.

70 Die Ermittlung dieser wesentlichen Merkmale ist im Wege einer Einzelfallbeurteilung vorzunehmen. Es gibt nämlich keine systematische Rangfolge zwischen den verschiedenen Arten möglicher Bestandteile eines Zeichens (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juli 2008, L & D/HABM, C‑488/06 P, Slg. 2008, I‑5725, Randnr. 55). Im Übrigen kann sich die zuständige Behörde bei ihrer Ermittlung der wesentlichen Merkmale eines Zeichens entweder unmittelbar auf den von dem Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck stützen oder zunächst die Bestandteile des Zeichens nacheinander einzeln prüfen (vgl. entsprechend Urteile vom 29. April 2004, Procter & Gamble/HABM, C‑468/01 P bis C‑472/01 P, Slg. 2004, I‑5141, Randnr. 45, und vom 30. Juni 2005, Eurocermex/HABM, C‑286/04 P, Slg. 2005, I‑5797, Randnr. 23).

71 Daher kann die Ermittlung der wesentlichen Merkmale eines dreidimensionalen Zeichens im Hinblick auf eine etwaige Anwendung des Eintragungshindernisses des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 je nach Fallgestaltung, insbesondere unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrads des Falls, anhand einer bloßen visuellen Prüfung dieses Zeichens oder aber auf der Grundlage einer eingehenden Untersuchung erfolgen, in deren Rahmen für die Beurteilung nützliche Elemente, wie Meinungsumfragen und Gutachten oder Angaben zu Rechten des geistigen Eigentums, die im Zusammenhang mit der betreffenden Ware früher verliehen wurden, berücksichtigt werden können.

72 Nach der Ermittlung der wesentlichen Merkmale des Zeichens hat die zuständige Behörde weiter zu prüfen, ob alle diese Merkmale der technischen Funktion der fraglichen Ware entsprechen. Denn wie in Randnr. 52 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, kann Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 keine Anwendung finden, wenn sich die Markenanmeldung auf die Form einer Ware bezieht, für die ein nichtfunktionelles – wie ein dekoratives oder phantasievolles – Element von Bedeutung ist. In diesem Fall haben konkurrierende Unternehmen leicht Zugang zu alternativen Formen mit gleichwertiger Funktionalität, so dass die Gefahr einer Beeinträchtigung der Verfügbarkeit der technischen Lösung nicht besteht. Letztere kann im genannten Fall von den Wettbewerbern des Inhabers der Marke ohne Schwierigkeit in Warenformen verkörpert werden, die nicht das gleiche nichtfunktionelle Element wie die Form der Ware des Markeninhabers aufweisen und weder mit ihr identisch noch ihr ähnlich sind.

73 Im vorliegenden Fall hat die Große Kammer in Randnr. 62 der streitigen Entscheidung festgestellt, dass das wichtigste Element des durch den Lego-Stein dargestellten Zeichens aus den beiden Reihen Vorsprüngen auf der Oberseite dieses Steins besteht. Bei ihrer Prüfung der von der Nichtigkeitsabteilung durchgeführten Beurteilung hat die Große Kammer dem Auftreten dieses Elements in den früheren Patenten von Kirkbi besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Prüfung hat zur Schlussfolgerung geführt, dass das genannte Element erforderlich sei, um die technische Wirkung, der die fragliche Ware dienen solle, zu erreichen, den Zusammenbau von Spielbausteinen nämlich. Wie sich außerdem aus den Randnrn. 54 und 55 der streitigen Entscheidung ergibt, hat die Große Kammer die Auffassung vertreten, dass mit Ausnahme seiner Farbe alle anderen Elemente des durch den Lego-Stein dargestellten Zeichens ebenfalls funktionell seien.

74 Soweit sich das Gericht für seine Schlussfolgerung, dass mit Ausnahme der Farbe alle Bestandteile der Form des Lego-Steins funktionell seien, auf dieselben Tatsachen gestützt hat, ist seine Würdigung, da eine von der Rechtsmittelführerin geltend gemachte Verfälschung nicht vorliegt, vom Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren nicht nachprüfbar.

75 Zum Vorbringen der Rechtsmittelführerin, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es den Standpunkt vertreten habe, dass die Meinungsumfragen zur Wahrnehmung der Form der fraglichen Ware durch die angesprochenen Verkehrskreise unerheblich seien, ist festzustellen, dass im Gegensatz zu dem in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/104 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 geregelten Fall, in dem die Wahrnehmung durch die angesprochenen Verkehrskreise zwingend berücksichtigt werden muss, da sie wesentlich ist, um feststellen zu können, ob das den Gegenstand der Markenanmeldung bildende Zeichen es ermöglicht, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu erkennen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Mai 2003, Libertel, C‑104/01, Slg. 2003, I‑3793, Randnr. 62, und Koninklijke KPN Nederland, Randnr. 34), eine solche Verpflichtung im Rahmen des jeweiligen Abs. 1 Buchst. e dieser Artikel nicht bestehen kann.

76 Die vermutete Wahrnehmung des Zeichens durch den Durchschnittsverbraucher ist nämlich kein entscheidender Faktor bei der Anwendung des Eintragungshindernisses des Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94, sondern kann allenfalls ein nützliches Beurteilungskriterium für die zuständige Behörde bei der Ermittlung der wesentlichen Merkmale des Zeichens bilden.

77 Der Auffassung der Rechtsmittelführerin, wonach die Ermittlung der wesentlichen Merkmale eines Zeichens im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 zwingend aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise vorzunehmen sei, ist daher nicht zu folgen.

78 Damit ist auch der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

Zum dritten Teil: Anwendung unzutreffender Funktionalitätskriterien

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

79 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, die Beurteilung der Funktionalität setze technische Kenntnisse voraus und werde im Allgemeinen von wissenschaftlichen Sachverständigen vorgenommen. Ein Gutachten über die Funktionalität der Merkmale einer Form bestehe aber zwangsläufig darin, diese Merkmale mit Alternativen zu vergleichen.

80 Das Gericht habe daher einen Rechtsfehler begangen, indem es die Auffassung vertreten haben, dass es auf das Vorhandensein alternativer Formen nicht ankomme, und die Prüfung der ihm von der Rechtsmittelführerin vorgelegten Gutachten abgelehnt habe.

81 Nach Ansicht von Mega Brands beruht das Vorbringen der Rechtsmittelführerin auf der irrigen Prämisse, dass alternative Formen für die Beurteilung der Funktionalität beachtlich seien. Zudem seien alternative Formen möglicherweise weniger geeignet, die Erfüllung der gewünschten Funktion zu ermöglichen, oder sie seien in der Herstellung teurer.

82 Das HABM trägt vor, das Gericht habe zutreffend festgestellt, dass sich die Beschwerdekammer zur Beurteilung der Funktionalität auf frühere Patente habe stützen können, ohne das Vorhandensein alternativer Formen berücksichtigen zu müssen.

Würdigung durch den Gerichtshof

83 Aus den in den Randnrn. 55 bis 60 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen stellt das Vorhandensein anderer Formen, die die Erreichung der gleichen technischen Wirkung ermöglichen, für die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 keinen Umstand dar, der das Eintragungshindernis entfallen lassen könnte, wie der Gerichtshof im Übrigen bereits in den Randnrn. 81 und 83 des Urteils Philips zu Art. 3 Abs. 1 Buchst. e zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 89/104 festgestellt hat.

84 Bei der Prüfung der Funktionalität eines Zeichens, das aus der Form einer Ware besteht, geht es nur darum, nach Ermittlung der wesentlichen Merkmale des Zeichens zu prüfen, ob diese Merkmale der technischen Funktion der betreffenden Ware entsprechen. Diese Prüfung ist ganz offensichtlich anhand einer Untersuchung des Zeichens, das Gegenstand der Markenanmeldung ist, und nicht von Zeichen vorzunehmen, die aus anderen Warenformen bestehen.

85 Die technische Funktionalität der Merkmale einer Form kann insbesondere unter Berücksichtigung der Unterlagen über frühere Patente beurteilt werden, die die funktionellen Elemente der betreffenden Form beschreiben. Diese Unterlagen sind aber im vorliegenden Fall von der Großen Kammer des HABM und vom Gericht berücksichtigt worden.

86 Aufgrund dessen ist auch der dritte Teil zurückzuweisen.

87 Da keinem der Teile des einzigen Rechtsmittelgrundes zu folgen ist, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

88 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Art. 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM und Mega Brands die Verurteilung der Rechtsmittelführerin beantragt haben und diese mit ihrem Rechtsmittelgrund unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Die Lego Juris A/S trägt die Kosten.

Unterschriften